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„Transatlantic“: Netflix-Historyserie erzählt von der Flucht vor den Nazis

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Karsten Umlauf

Marc Chagall, Lion Feuchtwanger, Hannah Arendt: Sie alle flohen vor den Nazis. Alle von Frankreich aus. Viele in die USA. Netflix erzählt ihre Geschichte jetzt als Serie. Eine mitunter gewöhnungsbedürftige Mischung aus Herzschmerz-Drama, Musical und Fluchtgeschichte.

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Marseille ist 1940 der letzte freie Hafen in Frankreich, den die Nazis noch nicht besetzt haben. Tausende Menschen sind hierher geflüchtet, um weiter Richtung Spanien, Portugal und dann nach Amerika zu kommen. Ihre Hoffnungen setzen sie unter anderem auf den Journalisten Varian Fry. Er arbeitet für das sogenannte Emergency Rescue Comitee, eine Art philanthropische NGO.

Filmstill (Foto: ©AnikaMolnar_Netflix)
„Transatlantic“ ist inspiriert von der wahren Geschichte der Hilfsorganisation „Emergency Rescue Committee”. Die vom ERC geretteten Flüchtlinge waren einige der größten Künstler und Intellektuellen Europas, darunter Andre Breton, Hannah Arendt, Marcel Duchamp, Max Ernst und Marc Chagall. Im Bild: Walter Mehring (Jonas Nay), Hannah Arendt (Alexa Karolinski), Varian Fry (Cory Michael Smith) und Thomas Lovegrove (Amit Rahav). Bild in Detailansicht öffnen
Varian Fry (Cory Michael Smith) erlebte die nationalsozialistische Gewalt hautnah als Korrespondent im Berlin der 1930er Jahre. Er war einer der Initiatoren des ERC. Bild in Detailansicht öffnen
Mary Jayne Gold (Gillian Jacobs) ist eine reiche Erbin aus Chicago, die ihren Treuhandfonds verwendet, um das ECR zu finanzieren. Bild in Detailansicht öffnen
Mary Jayne Gold (Gillian Jacobs) und Graham Patterson (Corey Stoll), amerikanischer Generalkonsul in Marseille. Er ist der schärfste Gegner des ERC. Als pragmatischer Denker dieser Zeit sieht er den Sieg der Nazis als unausweichlich an. Bild in Detailansicht öffnen
Thomas Lovegrove (Amit Rahav) half Juden bei der Flucht nach Palästina bis zum Fall von Paris, dann zog er sich nach Marseille zurück. Er begann als Spion für den englischen Geheimdienst zu arbeiten und öffnete sein Haus für das ERC. In der Villa am Stadtrand führt die drohende Lebensgefahr schnell zu unerwarteten Allianzen und intensiven Liebesbeziehungen zwischen den Flüchtlingen. Bild in Detailansicht öffnen
Lisa Fittko (Deleila Piasko) hilft Flüchtlingen, zu Fuß über die Pyrenäen zu fliehen. Sie stammt aus der österreichisch-ungarischen jüdischen Intelligenzia und glaubt, dass Juden und die anderen unterdrückten Völker Europas verlassen müssen um sich zu retten. Bild in Detailansicht öffnen
Albert Hirschmann (Lucas Englander) ist ein deutsch-jüdischer Flüchtling, der 1933 vor der Verfolgung durch die Nazis floh. Als er 1940 Marseille erreicht ist er bereits ein eurpopaweit bekannter Freiheitskämpfer. Bild in Detailansicht öffnen
Die historische Drama-Serie auf Netflix erzählt die Geschichte der Rettung von mehr als zweitausend Geflüchteten aus dem besetzten Frankreich. „Transatlantic“ basiert auf dem Roman „The Flight Portfolio" von Julie Orringer, der von wahren Ereignissen inspiriert wurde. (Henriette Confurius as Lena Fischmann). Bild in Detailansicht öffnen

Das Who’s Who der jüdischen Intelligenz

Es existiert eine Liste mit jüdischen Intellektuellen, die von den Nazis gesucht werden und die ein Visum bekommen sollen. Auf ein Visum warten unter anderem der Künstler Max Ernst oder der Philosoph Walter Benjamin. Dazu braucht Fry allerdings auch die Hilfe von dem amerikanischen Konsul in Marseille. Und dem ist das Engagement seines Landsmanns eher suspekt. Unterstützt wird Fry von der reichen Erbin Mary Jayne Gold.

Gillian Jacobs as Mary Jayne Gold (Foto: Anika Molnar_Netflix)
Mary Jayne Gold (Gillian Jacobs) ist eine reiche Erbin aus Chicago, die ihren Treuhandfonds verwendet, um das ECR zu finanzieren.

Wartesaal am Rand Europas

Die dramatische Seite der Flucht steht bei der Serie von Anna Winger gar nicht so sehr im Vordergrund. Immer wieder scheint sie auch die Leichtigkeit der südfranzösischen Sonne durchscheinen lassen zu wollen, die exzentrische Phantasie und Lebensfreude, die Individualität, die Persönlichkeiten wie Andre Breton, Max Ernst oder Walter Mehring mitbringen und die es ihnen möglich macht, diesem Wartesaal am Rand Europas mit Würde zu begegnen.

Unterschlupf finden sie zeitweise in der Villa Air-Bel am Rand der Stadt. In dieser Art „Safehouse“ feiern sie Feste, werkeln, flirten, rauchen, diskutieren und bilden wohl eine der außergewöhnlichsten Wohngemeinschaften des 20. Jahrhunderts.

Der Geist von „Casablanca“ ist spürbar

Das ergibt tolle Bilder und ist zwischendurch richtig unterhaltsam, allerdings lassen die Figuren des Öfteren auch Tiefe vermissen und scheinen sich mehr selbst zu zitieren als wahrhaftig zu sprechen.

In ihrer Machart und Inszenierung orientiert sich „Transatlantic“ an Filmen der 40er Jahre, vor allem Hollywood-Screwballkomödien, aber auch den Geist von „Casablanca“ meint man zu spüren, ohne dass die Serie die Eleganz des alten Klassikers erreichen würde.

Heldengeschichte ohne Haudegen-Attitüde

Insgesamt ist die Serie eine Mischung, aus der man nicht so richtig schlau wird. Ein Konglomerat aus Herz-Schmerz, Musical, Spionage und Fluchtgeschichte. Musik wird oft und plakativ eingesetzt, mal lässiger Swing, dann wieder schwülstiger Kitsch.

Zugute halten kann man der Serie, dass sie das sattsam bekannte Sujet „2. Weltkrieg“ mit einer bisher kaum gezeigten Story bereichert und mit einem eigenen, modernen Tonfall erzählt. Eine Heldengeschichte ohne Haudegen-Attitüde.

Trailer „Transatlantic“, ab 7.4.2023 auf Netflix

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