Marc Chagall, Lion Feuchtwanger, Hannah Arendt: Sie alle flohen vor den Nazis. Alle von Frankreich aus. Viele in die USA. Netflix erzählt ihre Geschichte jetzt als Serie. Eine mitunter gewöhnungsbedürftige Mischung aus Herzschmerz-Drama, Musical und Fluchtgeschichte.
Marseille ist 1940 der letzte freie Hafen in Frankreich, den die Nazis noch nicht besetzt haben. Tausende Menschen sind hierher geflüchtet, um weiter Richtung Spanien, Portugal und dann nach Amerika zu kommen. Ihre Hoffnungen setzen sie unter anderem auf den Journalisten Varian Fry. Er arbeitet für das sogenannte Emergency Rescue Comitee, eine Art philanthropische NGO.

Das Who’s Who der jüdischen Intelligenz
Es existiert eine Liste mit jüdischen Intellektuellen, die von den Nazis gesucht werden und die ein Visum bekommen sollen. Auf ein Visum warten unter anderem der Künstler Max Ernst oder der Philosoph Walter Benjamin. Dazu braucht Fry allerdings auch die Hilfe von dem amerikanischen Konsul in Marseille. Und dem ist das Engagement seines Landsmanns eher suspekt. Unterstützt wird Fry von der reichen Erbin Mary Jayne Gold.

Wartesaal am Rand Europas
Die dramatische Seite der Flucht steht bei der Serie von Anna Winger gar nicht so sehr im Vordergrund. Immer wieder scheint sie auch die Leichtigkeit der südfranzösischen Sonne durchscheinen lassen zu wollen, die exzentrische Phantasie und Lebensfreude, die Individualität, die Persönlichkeiten wie Andre Breton, Max Ernst oder Walter Mehring mitbringen und die es ihnen möglich macht, diesem Wartesaal am Rand Europas mit Würde zu begegnen.
Unterschlupf finden sie zeitweise in der Villa Air-Bel am Rand der Stadt. In dieser Art „Safehouse“ feiern sie Feste, werkeln, flirten, rauchen, diskutieren und bilden wohl eine der außergewöhnlichsten Wohngemeinschaften des 20. Jahrhunderts.
Der Geist von „Casablanca“ ist spürbar
Das ergibt tolle Bilder und ist zwischendurch richtig unterhaltsam, allerdings lassen die Figuren des Öfteren auch Tiefe vermissen und scheinen sich mehr selbst zu zitieren als wahrhaftig zu sprechen.
In ihrer Machart und Inszenierung orientiert sich „Transatlantic“ an Filmen der 40er Jahre, vor allem Hollywood-Screwballkomödien, aber auch den Geist von „Casablanca“ meint man zu spüren, ohne dass die Serie die Eleganz des alten Klassikers erreichen würde.
Heldengeschichte ohne Haudegen-Attitüde
Insgesamt ist die Serie eine Mischung, aus der man nicht so richtig schlau wird. Ein Konglomerat aus Herz-Schmerz, Musical, Spionage und Fluchtgeschichte. Musik wird oft und plakativ eingesetzt, mal lässiger Swing, dann wieder schwülstiger Kitsch.
Zugute halten kann man der Serie, dass sie das sattsam bekannte Sujet „2. Weltkrieg“ mit einer bisher kaum gezeigten Story bereichert und mit einem eigenen, modernen Tonfall erzählt. Eine Heldengeschichte ohne Haudegen-Attitüde.
Trailer „Transatlantic“, ab 7.4.2023 auf Netflix
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