Filmkritik: "Mr. Gay Syria" und "Palmyra"

Der Krieg um die richtigen Bilder

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Von Rüdiger Suchsland

Kunsthistoriker wissen es schon lange: Im Krieg geht es neben schierer Macht heute vor allem um den Sieg im Bilder-Krieg. Zwei Filme aus Syrien zeigen unerwartete Bilder vom Krieg. In "Palmyra" umkreist Regisseur Hans Puttnies essayistisch die mehrfach zerstörte assyrische Ruinenstadt. Der Dokumentarfilm "Mr. Gay Syria" von Ayse Toprak erzählt von dem Kampf um sexuelle Selbstbestimmung im Nahen Osten.

Der schönste Mann Syriens

"Mr. Gay World", das ist ein Schönheits-Wettbewerb, bei dem alljährlich der schönste schwule Mann der Welt gekrönt wird. Die Kino-Doku "Mr. Gay Syria" begleitet den 24-jährigen Syrers Hussein, der lange in Istanbul unter falscher Identität gelebt hat, bei seiner Teilnahme an diesem Wettbewerb.

Nicht zuletzt soll damit auch daran erinnert werden, dass Syrien bis zum Krieg ein liberales, weltoffenes, nicht vom Fundamentalismus geprägtes Land war. Die Dominanz der negativen Syrien-Bilder in der Weltöffentlichkeit soll gebrochen werden.

Homosexualität und Islam

Zugleich aber geht es hier natürlich darum, Aufmerksamkeit zu schaffen. Homosexualität gibt es auch in muslimisch geprägten Ländern. Aber wie in den Gesellschaften zu Friedenszeiten, ist auch unter den Flüchtlingen die Situation der Homosexuellen besonders prekär. 

Die türkische Regisseurin Ayse Toprak erzählt genau davon. Ästhetisch ist Topraks Film solides Handwerk. Der Film will motivieren, ist gedacht als Mittel, um bestimmte politische Anliegen zu propagieren.

Mr. Gay Syria

Toprak sympathisiert mit ihren Figuren, ist aber klug genug, um geschickt auch Brüche sichtbar zu machen. Eine ihrer Hauptfiguren ist der heute in Berlin lebende syrische Journalist Mahmoud Hassino.

Er wurde als erster Blogger der LGBT-Szene in Syrien zum Vorkämpfer von sexueller Selbstbestimmung im Nahen Osten und initiierte in Istanbul unter homosexuellen Syrern eine Wahl zum "Mr. Gay Syria".

Neue Bilder von Menschen

Und es wird in Topraks Film sehr deutlich, dass sie Husein auch für den guten Zweck benutzt, dass es ihr um viel mehr und Grundsätzlicheres geht, als um einen einzelnen Menschen. Neue Bilder sollen geschaffen werden, von Syrern, von Flüchtlingen, von moslemischen Kulturen.

Propagandakrieg der Symbole 

Auch um Bildpolitik, wenn auch ganz anderer Art geht es in dem dokumentarischen Essayfilm "Palmyra". Die seit Jahrhunderten in Ruinen liegende assyrische Metropole ist ein Sehnsuchtsort der bildungsbürgerlichen Schichten Europas und spätestens seit dem ausgehenden 19.Jahrhunderts eine touristische Attraktion.

Weltkulturerbe als Kriegsbeute

Lange verklärt und bereits 1980 von der UNESCO zum Weltkulturerbe ernannt, wurde die in Syrien gelegene antike Ruinenstadt Palmyra mit Beginn des dortigen Bürgerkriegs ein Objekt unterschiedlichster Begehrlichkeiten und ein Faustpfand im Propagandakrieg der Symbole.

Nahmen Assad und seine pro-westlichen Gegner Palmyra einfach als eine Art steinerne Geisel und verlangten Unterstützung, um im Gegenzug Palmyras Unversehrtheit zu versprechen, so drehten die schwarzen Krieger der ISIS solches Kalkül in ihrem ganz eigenen Vernichtungskrieg kurzerhand um.

Sie zerstörten große Teile der Anlage, und zelebrierten auf den übriggebliebenen Ruinen Hinrichtungen in einer ausgekügelten und in keiner Geste zufälligen Bildsprache.

Faszination Palmyra

Der Dokumentarfilmer Hans Puttnies hatte Palmyra bereits 2008 besucht und den Zustand der Anlage mit der Kamera festgehalten. Sein 2016 fertiggestellter, Anfang 2017 erstmals öffentlich vorgeführter Essayfilm, führt die Besucher an diesen Ort und gibt ein Gefühl für die besondere Faszination Palmyras.

Puttnies zeigt auch, wie Menschen von den Touristen lebten. Als Beispiel dient ein Gesprächspartner, der jugendliche Souvenirhändler Mohamad, der über die Vorlieben der deutschen Besucher spricht. Später wurde er von der ISIS gefoltert, überlebte aber und floh nach Dänemark.

Politisches Kino

Aber mit touristischen oder archäologischen Interessen oder auch bildungsbürgerlicher Ruinenästhetik hat Puttnies hervorragender Film nichts zu tun. Vielmehr ist der Dokumentarfilm "Palmyra" eminent politisches Kino.

Ein Nachdenken in Bildern über den antiwestlichen Terror der ISIS und dessen komplexe Propaganda-Bildsprache ebenso wie über die Vorstellungen und Phantasien, die hinter der westlichen Faszination für Palmyra stehen, hinter seiner Ernennung zum Weltkulturerbe.

Visuelle Tat

Der Terror von heute richtet sich nicht so sehr gegen Menschen, sondern ist symbolisch gemeint. Er ist ein "Bildakt", eine visuelle Tat. Denn auch wenn diese Einsicht bitter ist: Würde wir im Westen nicht wissen, was Palmyra ist, hätte die ISIS es nicht zerstören wollen.

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SWR