Eine Frau, die verschwindet, zwei Männer, die nach ihr suchen, die Geschichte einer anderen Frau, die mit der ersten zusammen war, und ein Mann, der sich in sie verliebt. „Trenque Lauquen“ ist nicht zu fassen. Ein Film über das Geheimnis der Liebe, des Kinos und über das Erzählen selbst. Rezensent Rüdiger Suchsland ist in den Bann gezogen.
Road Movie, Fantasy, Thriller – aber vor allem ein Liebesfilm
„Trenque Lauquen“ ist der Name einer Stadt in der argentinischen Pampa. An diesem Ort verschwindet eine Frau: Sie heißt Laura, ist Biologin. Sie verschwindet spurlos. Zunächst ist sie noch in allen Erzählungen, im Denken und Fühlen anderer Figuren präsent. Allmählich verflüchtigt sie sich - oder besser: Sie wird zum Mythos.
Man könnte „Trenque Lauquen“, der in zwölf Kapiteln erzählt wird, als Fantasy beschreiben, als phantastischer Film. Manchmal ist dieser Film auch ein Road Movie, manchmal ein Thriller, ein Detektivfilm. Es gibt Rückblicke. Vor allem aber ist dies ein Liebesfilm.

Ein Spurensuchspiel, das an französische Pulp-Romane erinnert
Zwei Männer, die Laura lieben, machen sich auf die Suche. Weitere Figuren kommen dazu. Die Nachforschungen der beiden Männer offenbaren eine Laura, die ebenfalls Ermittlerin ist. Die Grundlage ihrer Nachforschungen für ihre Radiosendung über emanzipierte Frauenfiguren sind eine Reihe von Briefen, die in den Büchern einer Bibliothek verstreut sind.
So entfaltet sich ein Spurensuchspiel, das an einige französische Pulp-Romane - oder auch an Rivette-Filme - erinnert.
Die Geschichte dreht ihren Fokus wie ein Kaleidoskop, anfangs erscheint alles linear und eindeutig, doch je mehr wir erfahren um so weniger wissen wir. Der Film lebt, löst die Distanz zu seinem Publikum gewissermaßen auf, und saugt es fast hinein in die Handlung. Das klingt kompliziert und abgehoben, ist aber sehr unterhaltsam und sinnlich.

Im KIno als Zweiteiler - den man in einem Stück sehen sollte
Der zweite Spielfilm von Laura Citarella wurde auf dem Festival von Venedig im Vorjahr in einer mehr als vierstündigen durchgängigen Fassung uraufgeführt. Beim Festival von San Sebastián lief er dann in einer alternativen Version mit zwei Teilen. Er könnte im Prinzip noch weitere Formen annehmen - ein Amphibienfilm, dessen Material vielgestaltig ist und sich mal zu dehnen, mal zusammenzuziehen scheint.
Dieser Film ist auch eine im fiktionalen Format getarnte Abhandlung über das Erzählen, ein Experiment, eine mysteriöse mutierende Metapher für das Ganze: Die Flüchtigkeit und Veränderlichkeit von allem.

Der Film hat so, wie er jetzt ins Kino kommt, zwei Teile, aber sie gehören zusammen und man sollte ihn so sehen, wie er auch vorgeführt wird: Nämlich in einem Stück.
Inspiriert durch Michelangelo Antonionis Film „Avventura“
Die Idee einer Frau die ebenso spurlos wie grundlos verschwindet ist ganz offensichtlich von Michelangelo Antonionis weltberühmtem Film „Avventura“ inspiriert. Aber man muss auch an Borges und Cortázar denken, die beiden großen argentinischen Autoren, deren verworrene Meta-Erzählungen hier Pate stehen. Und an den Chilenen Bolaño.
Ähnlich wie deren Romane ist „Trenque Lauquen“ ein labyrinthisches Spiel voller Romantik, Witz und Abenteuer, ein Spiel auch mit Kinomythen wie den Topoi des Science-Fiction-Films. Vor allem aber erinnert es an die Vexierfilme von David Lynch.

Die fast viereinhalb Stunden vergehen wie im Flug
Und das Verschwinden selbst hat viele Seiten: Zunächst vervielfältigen sich die Geheimnisse auf erheiternde Weise, dann werden die Geheimnisse allmählich enthüllt. Die unruhige Neugier, der Drang, Wahrheiten zu entdecken, die die Rätsel, die im Film auftauchen, lösen, ist die Hauptantriebskraft, die die Protagonisten zu ihrem Entdeckungsdrang treibt. Die fast viereinhalb Stunden vergehen wie im Flug und nehmen das Publikum in ihren detailreichen Fiktionen gefangen
Gibt es Vergleichbares im Kino von heute? Der Film erinnert an „La Flor“ von Mariano Llinás, der hier Berater für das Drehbuch war, beide Filme sind von El Pampero produziert, aber doch gibt es große Unterschiede zwischen beiden.
„Trenque Lauquen“ – Trailer
Wieder aber haben wir es mit einem großen, sehr ungewöhnlichen Werk zu tun, das keine Zusammenfassungen oder Vereinfachungen zulässt, das ein Rätsel ohne mögliche Lösung präsentiert, und eher das Wesen des Geheimnisses erforscht - des Geheimnisses der Liebe, des Kinos, der Identität selbst. Diese Suche kann immer nur zu einem weiteren, neuen Geheimnis führen. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann suchen sie noch heute.
Mehr Kinofilme
Film „Eismayer“ – David Wagners subtiler Film über eine homosexuelle Liebe in der Armee
Ein klischeehafter Ausbilder der harten Schule in der österreichischen Armee und ein homosexueller Rekrut verlieben sich ineinander – der Spielfilm von David Wagner basiert auf einer wahren Geschichte. Filmkritiker Rüdiger Suchsland hat vor allem die sehr subtile und präzise Regiearbeit von David Wagner überzeugt.
Opernfilm Antiker Mythos neu erzählt: „Orphea in Love“ von Axel Ranisch
Der Mythos von Orpheus, der seine Frau aus der Unterwelt zurückholen will, gehört zu den beliebtesten Motiven der Operngeschichte. In „Orphea in Love“ hat Film- und Opernregisseur Axel Ranisch die Geschichte aufgegriffen und in einem wilden Opern-Mash-Up mit vertauschten Rollen neu erzählt.