Stacheldraht, nackte Haut und Rasierklinge
Ein Hula Hoop-Reifen aus Stacheldraht — mit jedem Hüftschwung gräbt er sich tiefer ins Fleisch. Das ist ein Ausschnitt aus einer Performance der israelischen Video- und Installationskünstlerin Sigalit Landau. Stacheldraht spielt in ihren Arbeiten eine große Rolle — als Kommentar zur Palästinenser-Politik Israels, aber auch in Erinnerung an die Holocaust-Geschichte ihrer jüdischen Familie. In einer anderen Szene ritzt sich die Serbin Marina Abramović mit einer Rasierklinge den kommunistischen Stern in die Haut. Blut tropft aus der Wunde.

Befreiung durch das Aushalten körperlicher Schmerzen
Es sind harte Bilder, die Regisseurin Evelyn Schels in „Body of Truth“ dem Publikum zumutet. Aber sie zeigen eindrücklich, wie ernst es den Künstlerinnen mit dem Anspruch ist, den eigenen Körper zum Gegenstand ihrer Kunst zu machen. „Der Geist kann lügen“, sagt Marina Abramović an einer Stelle: „aber der Körper lügt nie.“ Das Aushalten des körperlichen Schmerzes sei für sie ein Mittel, sich von all dem zu befreien, was sie belaste und ihr Angst mache.
Kriegerinnen der Kunst
Evelyn Schels porträtiert in ihrer Kinodoku vier Künstlerinnen aus unterschiedlichen Kulturen: neben Marina Abramović und Sigalit Landau, begleitet sie die deutsche Fotokünstlerin Katharina Sieverding und die Exil-Iranerin Shirin Neshat bei ihrer Arbeit.
Schels setzt die Frauen etwas martialisch überhöht in Szene — als „Kriegerinnen der Kunst“: kompromisslos, unabhängig, stark und trotzdem sich immer der eigenen Verletzlichkeit bewusst. Dieses Spannungsverhältnis zwischen Kraft und Zerbrechlichkeit macht den Reiz dieser Doku aus.
Während Abramović und Landau sich auf teils drastische Weise dem Schmerz aussetzen, ist er bei Shirin Neshat ästhetisiert. Ihre großformatigen Schwarz-Weiß-Fotos von muslimischen Frauen mit Waffen sind übermalt mit persischer Kalligraphie. Sie zeigen: Der weibliche Körper ist politisch.
Künstlerinnen — ein „Nischenthema“?
Evelyn Schels hat schon einige Künstler porträtiert von Georg Baselitz über Amedeo Modigliani bis zu Jean Tinguely. Eine Finanzierung für „Body of Truth“ zu finden, war dennoch schwer. Weibliche Körperkunst, das interessiere doch nun wirklich nur ein Nischenpublikum, bekam sie zu hören, als sie 2012 mit dem Projekt begann. Acht Jahre später, nach #MeToo und mitten in einer Pandemie, wirkt der Film genau richtig platziert.
Kunst, die an Grenzen geht
Die Verwundbarkeit des eigenen Körpers, nicht nur des weiblichen, ist ein Thema, das vermutlich viele anspricht. Um wirklich in die Tiefe gehen zu können, hat sich Schels mit gleich vier Künstlerinnen zwar etwas zu viel vorgenommen, aber ihr Film macht neugierig auf eine Kunst, die an die Grenzen geht.