Absolute Hilflosigkeit als Botschaft an den Zuschauer
„Petrov's Flu“ hat einen harten Einstieg, fast Christopher Nolans Thriller „Tenet“: Ein Terrorakt, bei dem eine Handvoll Anzugträger an die Wand gestellt wird. Die Botschaft für die Zuschauer: Absolute Hilflosigkeit. Alles ist möglich.
Das setzt den Ton im neuen großartigen Film des Russen Kirill Serebrennikov, auch wenn sich dieser Auftakt schnell nur als die erste von lauter Fieberphantasien der Hauptfigur entpuppt. Episoden aus den späten Neunzigern, lose zusammengehalten durch die Titelfigur und schwankend zwischen Surrealismus, Absurdität und Nostalgie.

Schwarze Weltweisheiten
Serebrennikovs Film, der 2021 beim Festival von Cannes Premiere hatte, ist ein faszinierender, erschütternder Fiebertraum. Die Kamera ist virtuos und perfekt, die Musik so schön wie die altmodische Farbgebung und das Produktion-Design, von der chaotisch aufgeplatzten Geschichte versteht man nur Fragmente. Vielleicht gibt es gar nichts zu erklären, vielleicht muss man das fühlen, muss Spaß haben am Dreck und der Menschlichkeit im Destruktiven, an der schwarzen Weltweisheit, die hier zutage tritt.
Intelligente Wege such für politische Botschaften im Kino
Serebrennikov vermeidet als Filmemacher die plumpen politischen Bezüge, die das Kino der Gegenwart oft so langweilig macht, notgedrungen, denn in Russland kann man als Filmemacher mit plumpen politischen Bezügen nicht lange überleben. Man muss intelligentere Wege gehen, manchmal auch um die Ecke. Gleich zwei Filme von ihm werden in München gezeigt. Sie sind so verschieden wie das Werk dieses Regisseurs vielfältig ist.

Ruhe vor den Spießbürgern für Tschaikowsky
Im Zentrum von Serebrennikovs neuem Film „Tschaikowskys Wife“ steht tatsächlich die Frau von Peter Tschaikowsky. Sie ist die höhere Tochter einer angesehenen reichen Familie. Tschaikowsky heiratet sie auch deswegen, vor allem aber, weil der Homosexuelle eine Scheinehe eingehen muss, um vor den St.Petersburger Spießbürgern seine Ruhe zu haben.
Serebrennikov zeigt die damalige Gegenwart zwischen Genie und Wahnsinn und spielt dabei ziemlich klug mit den aktuellen Bezügen und den Russland-Klischees des 21. Jahrhunderts. Dabei scheint auch durch, dass ein ziemlich großer Teil der Welt vielleicht nicht ganz so ist, wie es Europa gern hätte.
„Petrov's Flu“ hat noch keinen deutschen Kinostart, für „Tschaikowskys Wife" ist er angekündigt.