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Erschütterndes Geschichtsdrama: „Der vermessene Mensch“ von Lars Kraume

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Julia Haungs

Es ist der erste deutsche Film über den Völkermord an den Herero und Nama im heutigen Namibia. Regisseur Lars Kraume erzählt in „Der vermessene Mensch“ wie brutal das deutsche Kaiserreich in seiner Kolonie agierte und wie die deutschen Völkerkundemuseen die Lage für einen unerhörten Beutezug nutzten. Ein wichtiger Film, der aufklärt und aufrüttelt.

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Deutsch-Südwestafrika 1904. Das heutige Namibia ist eine Kolonie, in der die Deutschen mit eiserner Faust herrschen. Als es zu einem Aufstand der Herero und Nama kommt, wird dieser brutal niedergeschlagen. Es folgt der erste Völkermord des 20.Jahrhunderts. „Der vermessene Mensch" erzählt davon aus der Perspektive des jungen Ethnologen Alexander Hoffmann.

Filmstill (Foto: Studio Canal)
Berlin, Ende des 19. Jahrhunderts. Alexander Hoffmann (Leonard Scheicher) ist ein ehrgeiziger Ethnologie-Doktorand an der Friedrich-Wilhelms-Universität. Bild in Detailansicht öffnen
Der Aufstand der Herero und Nama in der Kolonie wurde niedergeschlagen und die Kolonialherren beginen einen blutigen Vernichtungskrieg. Bild in Detailansicht öffnen
Gleichzeitig reist der Ethnologe Hoffmann im Schutz der kaiserlichen Armee durch das Land und sammelt für das Berliner Völkerkundemuseum zurückgelassene Artefakte und Kunstgegenstände ein. Bild in Detailansicht öffnen
Vor Ort erlebt Hoffmann mit, wie deutsche Soldaten mit unmenschlicher Härte den Vernichtungsbefehl ausführen. Herero-Frauen werden von der „Deutschen Schutztruppe" in die Wüste getrieben. Bild in Detailansicht öffnen
Für Professor von Waldstätten (Peter Simonischek) ist bereits die Frage „Gibt es minderwertige Rassen?“ ein Sakrileg. Der „evolutionäre Vorsprung“ der weißen Europäer sei schließlich nicht zu leugnen. Bild in Detailansicht öffnen
In einer von Rassismus und Sozialdarwinismus geprägten Wissenschaftswelt hält sich Hoffmann an eine scheinbar bewährte Methode: die Schädelvermessung. Bild in Detailansicht öffnen

Im Windschatten des Völkermords

Alexander Hoffmann reist im Windschatten der deutschen Schutztruppen und beobachtet entsetzt, wie die Soldaten sogar Frauen und Kinder umbringen. Doch auch sein eigener Auftrag bringt Hoffmann in Gewissenskonflikte.

Zwar bemüht er sich, die Kultur der Herero zu achten. Aber für die wissenschaftliche Vermessung soll der Ethnologe deren Schädel beschaffen. Außerdem soll er Alltags- und Kunstgegenstände der afrikanischen Kulturen für das Berliner Völkerkundemuseum sichern.

Unbekanntes Kapitel deutsche Kolonialzeit

Kolonialverbrechen – was das heißt, davon haben auch heute viele Deutsche nur eine ungefähre Vorstellung. Anders als die gut dokumentierten und oft verfilmten Verbrechen des Holocaust ist die Kolonialzeit eine visuelle Leerstelle. „Der vermessene Mensch" will das ändern.

Dieses didaktische Bemühen merkt man dem Film durchaus an. Manches an der Handlung und der Figurenkonstellation wirkt konstruiert. Dennoch entfaltet das Geschichtsdrama in seiner Kombination aus Härte und Genauigkeit Wucht.

Lars Kraume ist Spezialist für düstere Teile der deutschen Geschichte

Regisseur Lars Kraume ist ein Spezialist für historische Stoffe und insbesondere für die düstersten Kapitel der deutschen Geschichte. Er schildert, wie die Armee zehntausende Menschen aus den Völkern der Herero und Nama umbringt. Die Übriggebliebenen werden in Konzentrationslager gepfercht und als Zwangsarbeiter versklavt.

Die deutschen Kolonialherren rechtfertigen ihr Handeln mit der angeblichen Minderwertigkeit der afrikanischen Rasse. Diese meinen Wissenschaftler aufgrund von Schädelvermessungen bewiesen zu haben.

Regisseur Lars Kraume über seinen Film „Der vermessene Mensch“ bei SWR2:

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Raubkunst-Stücke aus Afrika finden sich bis heute in den Museen

Lars Kraume taucht mit „Der vermessene Mensch“ tief ein ins koloniale Herz der Finsternis und zieht eine klare Linie bis zum Rassenwahn der Nationalsozialisten und dem Holocaust. Er untersucht die unrühmliche Rolle der Wissenschaft und wie sich deutsche Museen schuldig machten.

Die aktuellen Restitutionsdebatten erscheinen vor diesem Hintergrund in einem grellen Licht. Denn in den Sammlungen europäischer Museen befinden sich nach wie vor zahlreiche Raubkunst-Stücke aus Afrika und im Keller tausende Totenschädel.

Trailer „Der vermessene Mensch“ ab 23.3. im Kino

Zur deutschen Kolonialgeschichte

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Kino Der verdrängte Genozid: Lars Kraume über seinen Film „Der vermessene Mensch“

Wie kann man den Völkermord an 100.000 Herero und Nama vor über 100 Jahren realistisch und mit viel Respekt erzählen? Diese Frage hat Regisseur Lars Kraume bei seiner Arbeit am Film „Der vermessene Mensch“ beschäftigt.

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Julia Haungs