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Einmal Filmhauptfigur sein! Die schräge Tragikomödie „The Ordinaries“

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AUTOR/IN
Julia Haungs

Eine Hauptfigur im Film des Lebens zu sein – das ist in der Phantasiewelt von „The Ordinaries“ nur wenigen Menschen vergönnt. In ihrem Diplomfilm der Filmuniversität Babelsberg beschreibt Sophie Linnenbaum eine streng hierarchisch gegliederte Gesellschaft von Filmfiguren. Ein außergewöhnlich origineller, experimentierfreudiger und mutiger Film.

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Ein Leben als strahlender Star

Paula träumt von einem Leben als Hauptfigur. Dazu besucht sie seit fünf Jahren eine Kaderschmiede. Dort hat die 16-Jährige Fächer wie „Cliffhanger“ und „Zeitlupe“. Sie trainiert, wie man panisch schreit oder wie man große Emotionen weckt und dazu die passende Filmmusik erzeugt. Mithilfe eines Geräts namens Herzleser kommen diese Melodien direkt aus ihrem Herzen. Die Filmfiguren-Gesellschaft von „The Ordinaries“ ist in ein strenges Kastenwesen unterteilt. Große Gefühle und eigene Handlungsstränge sind nur der Oberschicht der Hauptfiguren vergönnt.

Filmstill (Foto: © Bandenfilm)
In einer fabelhaften Welt, streng unterteilt in Haupt-, Nebenfiguren und Outtakes, steht die 16-jährige Paula (re, Fine Sendel) vor der wichtigsten Prüfung ihres Lebens: Sie muss beweisen, dass sie das Zeug zur Hauptfigur hat. Hannah (Sira-Anna Faal) und Paula in der Schule für Hauptfiguren. Bild in Detailansicht öffnen
Paulas beste Freundin Hannah (Sira-Anna Faal) stammt aus einer dieser strahlenden Hauptfiguren-Familien: Mutter (Denise M‘Baye), Vater (Pasquale Aleardi) und Hannahs Bruder Elio (Noah Bailey) leben das perfekte idyllische Leben, mit eleganter farbenfroher Kleidung und stets perfekt frisiert, haben sie eine aufregende Szene nach der anderen. Bild in Detailansicht öffnen
Elisa Feinmann, Paulas Mutter (Jule Böwe) dagegen arbeitet als Nebenfigur im Hintergrund. Sie ist eine von vielen, eine für den Hintergrund, eine Nebenfigur ohne eigene Storyline. Aber als sie Paulas Vater eines Tages trifft, entsteht eine ungewöhnliche Liebesgeschichte. Denn der Vater war etwas ganz Besonderes, er war eine Hauptfigur. Bild in Detailansicht öffnen
In der cineastischen Parallelwelt von „The Ordinaries“ sind die Menschen hierarchisch aufgeteilt in Hauptfiguren, Nebenfiguren und Outtakes. Und die Haupt- und Nebenfiguren verachten die Outtakes. Paula will ein glamouröses Leben mit einer eigenen Storyline, aufregenden Szenen und voller Musik. Bild in Detailansicht öffnen
Paula ist Klassenbeste im Klippenhängen, beherrscht Zeitlupe und panisches Schreien im Schlaf – nur das Erzeugen emotionaler Musik will ihr einfach nicht gelingen. Hannah (Sira-Anna Faal) und Paula (Fine Sendel) im Hauptfigurenviertel. Bild in Detailansicht öffnen
Auf der Suche nach einer Lösung, stößt sie auf Ungereimtheiten zum Tod ihres Vaters, einer heldenhaften Hauptfigur. Ihre Nachforschungen führen sie zu den verachteten, unterdrückten Outtakes, Menschen mit Filmfehlern, am Rande der Gesellschaft. Bild in Detailansicht öffnen
Regieseurin Sophie Linnenbaum:„,The Ordinaries‘ ist eine aktuelle, aber auch eine zeitlose Geschichte. Durch die metaphorische Übersetzung einer gesellschaftlichen Ordnung und den humorvollen, warmen Einschlag, ist es uns möglich eine gegenwärtige Geschichte zu erzählen.“ Bild in Detailansicht öffnen

Der große Film des Lebens

Der Großteil der Bevölkerung fristet ein glanzloses Leben als Nebenfigur. Im großen Film des Lebens tummeln sie sich als austauschbare Stichwortgeber im Hintergrund. Ihr persönlicher Ausdruck beschränkt sich auf wenige Phrasen. Ganz unten in der Hackordnung steht das Lumpenproletariat der Outtakes: dazu gehören Schnittfehler, Fehlbesetzungen und alles, was nicht in die schöne Welt stringenter Storylines passt.

Auf der Suche nach ihrem Vater, den sie nie kennengelernt hat, gerät Paula ins Outtake-Ghetto. Was sie dort erfährt, stellt alle Gewissheiten über ihre Identität und ihre Wahrnehmung der Gesellschaft auf den Kopf. Denn die scheinbar so heile Welt der Hauptfiguren fußt auf der Unterdrückung anderer.

Verspielter Film mit jeder Menge Gesellschaftskritik

Sophie Linnenbaum erzählt in „The Ordinaries“ von einer Gesellschaft, in der eine selbstverliebte Elite mithilfe von Hass und Hetze andere diskriminiert und unterdrückt. Wer Macht hat, bestimmt das Narrativ der gesellschaftlichen Erzählung. Ein sozialer Aufstieg ist nur wenigen möglich und wenn, dann nur um den Preis der totalen Assimilation. Im Film steckt eine Menge Gesellschaftskritik, die dem Film jedoch nie seine Verspieltheit raubt.

Sehr mutiges deutsches Kino: Mehr davon!

Linnenbaum zündet ein Feuerwerk an erzählerischem Witz und schrägen Ideen. Das Ganze in einem wilden Genremix aus Politsatire, Science Fiction-Dystopie und Coming of Age-Film. Dazu kommen immer wieder Musicalszenen. 

„The Ordinaries“ ist eine originelle und experimentierfreudige Tragikomödie, die auch noch wahnsinnig gut aussieht. Zwar wirkt nicht jede dramaturgische Wendung bis zu Ende gedacht, aber das ist eigentlich ganz egal. Es ist ein sehr gut gemachter deutscher Film mit Mut, etwas auszuprobieren. Ein Film, wie man ihn viel zu selten sieht.

Trailer „The Ordinaries“, ab 30.3. im Kino

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