Mit seinen abwechslungsreichen, mit Anspielungen auf die europäische Kulturgeschichte überreich gespickten Filmen ist der katalanische Regisseur Albert Serra unter Kineast*innen schon lange ein Geheimtipp. „Pacifiction“ ist ein Polithriller, der in einer der letzten echten Kolonien dieser Welt spielt: Französisch-Polynesien. Ein Politthriller über Misstrauen und Verschwörung und über die Dekonstruktion eines europäischen Traumes: die Verheißung des südländischen Paradieses.
Ein Kolonialbeamter im Stillstand der Zeit
Weiß ist der Anzug von De Roller. In der Seele des Mannes geht es eher düster zu. Er ist Hochkommissar der französischen Republik in Polynesien, und schon insofern ein Relikt vergangener, zugleich für Europa besserer Zeiten.
Ahnungen kommender Dinge plagen diesen genialen Dilettanten, bei dem Machtmechanik und Gefühl so wenig ein Widerspruch sind, wie Kolonialismus und Modernität.

In einem Schlüsselmoment von „Pacifiction“ erklärt De Roller, der von Benoît Magimel gespielte Kolonialbeamte auf der Insel Tahiti mit einem Anhauch von Kulturpessimismus, aber keineswegs von Niederlage, sondern triumphierend, dass Politik "eine Diskothek ist".
Reflexion über politische und menschliche Ohnmacht
Von hier aus beginnt ein langer und intensiver Monolog, in dem er die Ohnmacht der Machthaber erkennt und beschreibt. Er aber erklärt, dass Politik nur eine Chimäre ist, nur Bestandteil einer Weltsicht, nach der die Menschen alles kontrollieren wollen, ohne zu erkennen, dass alles ihrer Macht entweicht, dass es andere, tiefere Kräfte gibt, die die Welt wirklich kontrollieren.
„Pacifiction“ ist eine Chronik des Wirkens eben dieser Kräfte, eine Reflexion über politische und menschliche Ohnmacht, und über die Unfähigkeit, das Böse in der Welt auszurotten.
Das Böse dringt ins Paradies ein
Etwas Schreckliches und Unheimliches kommt in diesem Film allmählich an die Oberfläche des Sichtbaren. Seltsame Kräfte treiben uns auf eine Art Apokalypse zu, in der der von vielen bereits heute vorhergesagte Verfall des Westens erst noch geschehen muss, aber sicher geschehen wird.
Das Böse ist auch in einen Raum eingedrungen, der vor Jahren von einigen noch als das letzte Paradies des Westens angesehen wurde, der als mögliche Zuflucht seiner ermüdeten Bewohner galt, als Jungbrunnen.
Polynesien ist nicht mehr, was es mal war
Claire Denis' Film „L'Intrus“ erzählte vor über 15 Jahren genau von diesem Raum. Wir befinden uns im Herzen Polynesiens, aber dieses einstige Paradies ist zu einem miesen Nachtclub verkommen, in dem sich eine Reihe von sinistren Figuren betrinkt, die dazu verdammt sind, als tote Seelen noch durch die dunkelste Nacht zu wandern.
Es gibt keine Touristen mehr auf dieser Insel, nur ein paar Parasiten, die auf die Dämmerung warten, um in das Herz ihrer eigenen Hölle einzudringen. An diesem Ort am Rande der Welt verkleiden sich die Eingeborenen, und halten Rituale aufrecht, die längst zu bloßen Simulakren der Tradition geworden sind.
De Roller will die Dinge in Ordnung bringen
Die Natur allein leuchtet weiter, wird aber nicht mehr in ihrer ganzen Pracht, sondern als etwas Geheimnisvolles betrachtet. De Roller ist auf die Insel gekommen, um ein paar Dinge in Ordnung zu bringen, um an Verhältnissen herumzubasteln, die sein politisches Handeln rechtfertigen.
Im Laufe des Films werden wir Zeugen einiger protokollarischer Besuche des Funktionärs, deren großartigster ein Surftest vor den großen Wellen ist, eine Fahrt auf hoher See hinein in die Schattierungen von Blau.
Regisseur Albert Serra dekonstruiert eine koloniale Phantasie
An Fassbinders Film „Querelle“ wird man ebenso denken, wie an Claire Denis' filmische Wanderungen auf den Spuren von Josef Conrad und Rudyard Kipling.
Vor allem aber an Francis Ford Coppola, Chantal Akerman und Lucrezia Martels „Zama“, in dem auch ein Kolonialbeamter im Stillstand der Zeit im Zentrum stand: Exotistische Phantasie und lüsterner Tagtraum mischen sich in „Pacifiction“ mit kühler Analyse.
Regisseur Albert Serra gelingt ein Märchen, eine koloniale Phantasie – ein wunderbarer Film, der aus der einzig möglichen, der europäischen Perspektive auf den globalen Süden blickt, und in sinnlicher Form klar macht, dass alle Vorstellungen von Unschuld und Paradies nur unsere Konstruktionen sind. Und ewig ruft das Meer.
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