Bei „Feinkost Kosinski“ ist der Lack ab
Auf was legen Sie bei Ihrem Supermarkt-Einkauf wert? Freundliches, zuvorkommendes Personal? Eine saubere oder zumindest ungezieferfreie Verkaufsfläche? Ein bisschen was von allem? Bei „Feinkost Kolinski“ in Hamburg-Altona sind Service, Sauberkeit & Co. Mangelware.
Hier bröckelt der Putz von den Wänden, das Personal klaut wie die Raben und im Kühlhaus findet man zwischen abgelaufenen Waren auch immer wieder beischlafende Mitarbeiter*innen vor – das unwohle Gefühl in der Magengegend fängt bei „Die Discounter“ schon beim Setting an.
Der Lack bei „Feinkost Kolinski“, dem heruntergerockten Supermarkt mit 1980er Jahre Flair, der im Zentrum der Serie steht, ist eindeutig ab: Das gilt auch für den Filialleiter Thorsten (Marc Hosemann), der seine illustre Mitarbeiterschaft mehr schlecht als recht unter Kontrolle zu bekommen versucht. Die Bilanzen sind schlecht, die Google-Bewertungen auch und der cholerische Thorsten vermag gegen seine eigenwillige Truppe, deren Alltag in der Serie geschildert wird, nicht viel auszurichten.
Unangenehme Situationen werden von der Verkaufsfläche ins heimische Wohnzimmer transportiert
Die Serie erinnert in ihrem Mockumentary-Stil unverblümt an „Stromberg“ oder dessen Vorlage, das amerikanische „The Office“: Ein unsichtbares Doku-Team porträtiert die Angestellten des Supermarkts, die regelmäßig in Interview-Situationen das Geschehen meist böswillig kommentieren. Immer wieder wird auch die vierte Wand durchbrochen, wenn die Protagonist*innen direkt in die Kamera blicken und die unangenehmen Situationen von der Verkaufsfläche direkt in das heimische Wohnzimmer transportieren.
Bezüge zur 1990er-Serie „Ritas Welt“ sucht man abseits des Handlungs-Ortes jedoch vergebens. Den „Discountern“ liegt ein anderer Humor zugrunde, bei dem es häufig überdreht und überzeichnet zugeht und bei dem das Auslösen von Fremdscham bei den Zuschauer*innen eine zentrale Rolle einnimmt.
Das Personal ist ein Wimmelbild von Stereotypen
Die Dialoge in „Die Discounter“ sind alle improvisiert, die Rollen stereotyp angelegt: Da ist die strebsame stellvertretende Filialleitung Pina (Klara Lange), die graumäusig daherkommt und den Laden kleinlaut am Laufen zu Halten versucht oder der verunsicherte Sicherheitsmann Jonas (Merlin Sandmeyer), der vom Filialchef als lebensunfähig beschrieben wird. Irgendwo dazwischen: Neuling Titus, grün hinter den Ohren und der Kundschaft gegenüber noch nicht ganz so abgeneigt wie das restliche Personal.
Gespielt wird Titus von Bruno Alexander, der gemeinsam mit Oskar und Emil Belton auch für Regie, Schnitt und Drehbuch der Serie verantwortlich war.
Trotz aller Komik klingen auch ernste Themen an
Trotz Mobbing, gescheiterter Liebschaften und einem rundum desolaten Arbeitsumfeld ist der Zusammenhalt bei den „Discountern“ immer da. Bei Kosinski hilft man einander, ob es nun um Online-Dating, Beziehungsratschläge oder das Optimieren der Optik der Kolleg*innen geht. Von Folge zu Folge kann man dem Team beim Zusammenwachsen zusehen und findet überraschenderweise immer mehr Gefallen an den Menschen, die die absurde Szenerie prägen und die einem zu Beginn der Serie noch suspekt erscheinen.
In „Die Discounter“ geht es auch um das Verwirklichen und Scheitern von Träumen, tiefergehende Themen klingen immer wieder an: Ob nun klischeehafte Geschlechterrollen angeprangert werden, der Umweltschutz im Supermarkt eingefordert wird oder männliche Kollegen für sexistisches Verhalten oder gar Stealthing abgestraft werden: Die Charaktere aus Kolinskis Feinkost versuchen immer wieder, die verkrusteten Strukturen zu durchbrechen, wenn auch mit mäßigem Erfolg.
Fans von unangenehmen Situationen kommen auf ihre Kosten
Auch wenn Christian Ulmen in „Die Discounter“ nicht selbst vor der Kamera steht, ist sein Spirit vor allem in den Cringe-Momenten der Serie spürbar: Unangenehme Situationen, bei denen man als Zuschauer*in am liebsten wegsehen möchte, kommen in der Mockumentary-Serie am laufenden Band.
Wenn Kassiererin Flora einem Macho einen benutzten Tampon überreicht oder der kauzige Hausmeister (Wolfgang Michael) detailliert von seinen sexuellen Erfahrungen auf der Damentoilette berichtet, ist die Fremdscham unausweichlich – die Serie gleichermaßen aber auch am ausdrucksstärksten. Kurzum: Wer über eine große Portion Fremdscham-Faktor im Stile Ulmens lachen kann, wird auch bei „Die Discounter“ auf seine Kosten kommen. Für alle anderen dürfte die Serie eine Spur zu überzeichnet sein.