Nach dem Attentat 2016 in einem Münchner Einkaufszentrum wurde zunächst von einem „Amoklauf“ gesprochen. Dabei habe es von Anfang an starke Hinweise auf einen rassistischen Hintergrund gegeben, so Filmemacher Tobias Vogel in SWR2. Als Autor und Regisseur der dreiteiligen ZDF Doku „Einzeltäter“ widmet er sich den Hinterbliebenen der rechtsextremen Anschläge von München 2016, Halle 2019 und Hanau 2020.







Der „Einzeltäter“ ist eigentlich kriminologisch ein klarer Begriff. Aber in der öffentlichen Debatte ist er eher problematisch, findet der Filmemacher Tobias Vogel: „Es entsteht oft ein Narrativ, das Medien aufnehmen und das damit die Tat und ihre politische Bedeutung verharmlost.“
Rechstextremer ideologischer Nährboden der Gewalt
Den Reflex, rechte Gewalt zu individualisieren, werde es in Deutschland immer geben, meint Vogel: „Der schiebt das Problem ins Andere: Der Verrückte, der Fremde, der Mörder – der nicht ich bin“. Dabei würden die Täter nicht im luftleeren Raum handeln, sondern auf einem ideologischen Nährboden, mit dem Ziel, einen vermeintlichen „Volkswillen“ zu vollstrecken. Genährt werde diese Ideologie durch die rechtspopulistischen Debatten der Gesellschaft.
Begegnung mit Menschen im Mittelpunkt
Vogels Anliegen als Dokumentarfilmer sei es, nicht Menschen mit Funktion zu zeigen, sondern als Individuen. Es seien keine journalistischen Filme, so Vogel. Menschen in seinen Filmen seien nicht ‚die Betroffenen‘, die etwas sagen sollten, damit es emotional stark ist. „Es sind eher Begegnungen, dadurch kann ein Kennenlernen stattfinden, auch ein Kennenlernen ihrer individuellen Trauerarbeit.“
.
Was geht - was bleibt? Zeitgeist. Debatten. Kultur. 3 Jahre nach Hanau - Was bleibt außer Bitterkeit und Misstrauen?
“Wir sind alle Hanau”, hieß es nach dem rechtsextremen Anschlag in Hanau.
Stimmt das? Oder schaut ein großer Teil der Gesellschaft weg - aus fehlender Betroffenheit, aus Ignoranz oder Rassismus? Und wie könnte im Gegenteil dazu eine solidarischere Gesellschaft aussehen?
Am 19. Februar 2020 riss ein Rassist in Hanau neun junge Menschen aus dem Leben. Seitdem sind drei Jahre vergangen, aber “nichts ist aufgearbeitet worden", beklagt der Rapper Aksu, der in seinem Song “Wo wart ihr?” den rechtsextremen Anschlag verarbeitet hat. Die vielen offenen Fragen und auch das offensichtliche Fehlverhalten der Sicherheitsbehörden verstärken sein Gefühl der Hoffnungslosigkeit. Er hätte sich auch in der Musikszene mehr Anteilnahme gewünscht.
Wegsehen zu können sei ein Privileg, meint der Autor Deniz Utlu. Solidarität heißt für ihn, “sich bewusst dafür zu entscheiden, dieses Privileg nicht zu nutzen”.
Aber selbst wenn die Gesellschaft mehr Mitgefühl, mehr Menschlichkeit entwickeln würde - Armin Kurtović, der Vater eines Opfers, gibt zu bedenken: “Egal was wir machen, nichts bringt mir meinen Sohn zurück”.
Habt ihr weitere Themen oder Feedback?
Schreibt uns an kulturpodcast@swr.de.
Hosts: Kristine Harthauer und Philine Sauvageot
Showrunner: Giordana Marsilio
Wir empfehlen zur Folge:
Der Song “Wo wart ihr?” von Aksu https://www.youtube.com/watch?v=gAjHPu3jJKc
Die Soli-Lesung am 11.2. in Hanau und digital https://www.betterplace.org/de/fundraising-events/43634-soli-lesung-in-hanau-wir-vergessen-nicht
SWR2-Feature zur “Lücke von Hanau” https://www.swr.de/swr2/doku-und-feature/die-luecke-von-hanau-100.html
Das Sammelband “Anders bleiben” https://www.rowohlt.de/buch/anders-bleiben-9783499010804
Das Sammelband “Eure Heimat ist unser Albtraum” https://www.ullstein.de/werke/eure-heimat-ist-unser-albtraum/hardcover/9783961010363
Eine ARD-Doku zu den Folgen von Hanau https://www.ardmediathek.de/video/dokus-und-reportagen/hanau-eine-nacht-und-ihre-folgen/hr-fernsehen/Y3JpZDovL2hyLW9ubGluZS8xMjY5MzE
Keywords: Hanau, Anschlag, Rassismus, Solidarität, Gesellschaft, Jahrestag
Mehr Dokumentation in SWR2
Gespräch ARD-Doku „Generation-Crash“: Die Ost-Millennials, eine Generation des Umbruchs
Die ARD-Doku „Generation Crash – Wir Ost-Millennials“ erzählt ein Kapitel der Nachwendezeit, das bisher gefehlt hat. Der „Crash“ sei nicht nur der Mauerfall, sondern „auch was danach passierte“, so Regisseur Nils Werner.