Schätzungsweise 100.000 Herero und Nama sind zwischen 1904 und 1908 im heutigen Namibia von den deutschen Kolonialtruppen ermordet worden. Erst 2021 hat Deutschland den Völkermord anerkannt. Die historischen Ereignisse realistisch zu erzählen, mit viel Respekt und ohne zu retraumatisieren, dieser Spagat hat den Regisseur Lars Kraume bei der Arbeit an seinem Film „Der vermessene Mensch“ beschäftigt: „Wir hatten beim Drehen zusammen mit dem Kameramann Jens Harant im Grunde die ganze Zeit die Frage, wie nah wir rangehen. In den Szenen, die hart sind, haben wir versucht, uns auch auf Quellentexte zu berufen, um möglichst sachlich zu erzählen“.
Ein Film, der polarisiert
„Der vermessene Mensch“ erzählt die Geschichte eines jungen, ehrgeizigen Ethnologen, der in die damalige Kolonie Deutsch-Südwestafrika geht und dort mit den Truppen mitreist, um Kunstwerke und Gebeine der Herero zu sammeln und nach Deutschland zu schicken. Die Hauptfigur sei zwar eine fiktive Figur, die aber aus Biografien anderer Ethnologen der Zeit inspiriert sei, so Kraume.

Die Reaktionen auf seinen Film erlebe er als polarisiert, sagt der Regisseur: „Manchmal stehen Leute vor mir und sagen: 'ich weiß gar nicht, wovon dieser Film handelt', weil sie quasi überhaupt kein Verständnis dafür haben, dass wir mal eine große Kolonialmacht waren.“ Genau für diese Menschen habe er den Film gemacht, sagt Kraume. Aber er erlebe auch ganz andere Reaktionen: „Natürlich gibt es auch Leute, die diese Reproduktion der Gewaltbilder, die natürlich rassistisch sind, per se schwierig finden.“
Berührte Zuschauer in Namibia
Das Wichtigste für ihn sei aber, dass sein Film in Namibia Menschen bewegt habe, so Kraume: „Wir haben dort in Gemeinden, die gar keine Kinos haben, mit einem Beamer den Film gezeigt. Und obwohl der Film aus deutscher Perspektive erzählt, haben die Herero in der Mehrheit uns gesagt, dass das ein ganz wichtiger Film für sie sei, auch um ihre eigenen, zum Teil größtenteils mündlich überlieferten Geschichten mit Bildern abzugleichen und zu verstehen, was da eigentlich in ihrer Vorgeschichte passiert ist.“
Trailer des Films:
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