Manche mögen das Kindeswohl gefährdet sehen, wenn eine Dragqueen in einer Kinderbibliothek etwas vorliest. Vieleicht würde es sich gerade für sie lohnen, „Meine Freundin Volker“ anzusehen. Denn hier wird endlich mal einen Mann in Frauenkleidern nicht als Witzfigur dargestellt, sondern zum Helden und sogar zum Rollenvorbild gemacht. Tatort-Kommissar Axel Milberg glänzt in einer Mischung aus Varieté, Kiezmärchen und Familienfilm.
Vom Kietz nach Itzehohe
Vivian Bernaise ist der große Star der Hamburger Szenekneipe „Donauwelle“. Ihr größter Fan, ein junger Mann mit Verbindung zur Russenmafia, stirbt bei einer Schießerei im Hinterhof, und Vivian muss als Zeugin in der Schleswig-Holsteinischen Provinz untertauchen.
Vivian alias Volker landet ohne Perücke, aber immer noch mit ausreichend Lidschatten, rotem Anzug und grüner Ledertasche auf dem platten Land in Itzehoe.
Drehbuch ist inspiriert vom Varieté und der Kunstform des Drag
Das ist abenteuerlich zusammengewürfelt, bleibt aber sympathisch, weil das Drehbuch von Julia Penner und Andreas Wrosch sich nicht darauf versteift, eine logisch vielschichtig grundierte Erzählung zu entwickeln, sondern es ist vor allem inspiriert von Varieté und der Kunstform des Drag.
Und transportiert ein Lebensgefühl: Stolz, Melancholie, Humor, und Offenheit für die unterschiedlichsten Vorstellungen von Familie.
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Schwieriges Thema zu bester Sendezeit
Vermieterin Katja in Itzehoe ist Lehrerin und frisch getrennt. Und wie es das Drehbuch will, gewinnt sie Volker nach anfänglichen Schwierigkeiten als Musicalhilfslehrer, dabei kann er unter anderem ihrem 10jährigen Sohn Lukas Hilfestellung geben. Der möchte nämlich bei „Cinderella“ nicht als strahlender Prinz, sondern als Prinzessin im Kleid auftreten.
Man kann Vieles gegen den Film einwenden: dass er einem familientauglichen Diversitätsworkshop ähnelt. Dass Spott und Diskriminierung, die Dragqueens tagtäglich erleben, nur am Rande vorkommen.
Und dass es offensichtlich einen Tatort-Kommissar in Frauenkleidern braucht, um einen solchen Film überhaupt und dann noch zur besten Sendezeit unterzubringen.
Aber zumindest ist die Darstellung von Axel Milberg sowohl als Volker wie auch als Vivian in atemberaubender Maske, hochtrabenden Perücken und Glitzerschminke über viele Zweifel erhaben.
Axel Milberg glänzt als empfindsamer Mann und Kunstfigur Frau
Nie parodiert dieser Film irgendetwas, Sexualität ist kein großes Thema. Millberg spielt in erster Linie einen sehr empfindsamen Mann, der gleichzeitig selbstverliebt und verletzlich ist und der in der Kunstfigur als Frau Stärke und Selbstsicherheit findet. Eine übertriebene, selbstironische und genau deshalb sehr ernsthafte Darstellung.
Und die hat offensichtlich auch den Kolleginnen und Gästen aus der „Donauwelle“ gefallen, denn wenigstens bei denen handelt es sich um „echte“ Dragqueens, die in ihren Bühnenoutfits spielen und dem ganzen Unterfangen inklusive seinem Hauptdarsteller sehr wohlwollend gegenüber stehen.
10 Jahre hat der Film gebraucht, bis er so realisiert werden konnte. Es ist noch nicht alles Regenbogenfarben was glänzt, aber er kommt gerade zur rechten Zeit.
„Meine Freundin Volker“ in der ARD Mediathek, 17.5. 20:15 Uhr Das Erste
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