Film

Borowski auf High Heels: „Meine Freundin Volker“ mit einem überragenden Axel Milberg

Stand
AUTOR/IN
Karsten Umlauf

Manche mögen das Kindeswohl gefährdet sehen, wenn eine Dragqueen in einer Kinderbibliothek etwas vorliest. Vieleicht würde es sich gerade für sie lohnen, „Meine Freundin Volker“ anzusehen. Denn hier wird endlich mal einen Mann in Frauenkleidern nicht als Witzfigur dargestellt, sondern zum Helden und sogar zum Rollenvorbild gemacht. Tatort-Kommissar Axel Milberg glänzt in einer Mischung aus Varieté, Kiezmärchen und Familienfilm.

Audio herunterladen (4,1 MB | MP3)

Vom Kietz nach Itzehohe

Vivian Bernaise ist der große Star der Hamburger Szenekneipe „Donauwelle“. Ihr größter Fan, ein junger Mann mit Verbindung zur Russenmafia, stirbt bei einer Schießerei im Hinterhof, und Vivian muss als Zeugin in der Schleswig-Holsteinischen Provinz untertauchen.

Vivian alias Volker landet ohne Perücke, aber immer noch mit ausreichend Lidschatten, rotem Anzug und grüner Ledertasche auf dem platten Land in Itzehoe.

Filmstill (Foto: ard-foto s1, © SWR/Georges Pauly)
Vivian Bernaise (Axel Milberg) ist der Star der Dragszene in St. Pauli. Bild in Detailansicht öffnen
Filmstill (Foto: ard-foto s1, © SWR/Georges Pauly)
Nach einem glanzvollen Auftritt im Club „Donauwelle“ wird sie Zeugin eines Mafiaanschlages und muss fliehen. Bild in Detailansicht öffnen
Filmstill (Foto: ard-foto s1)
Aus Vivian wird Volker und der landet ohne Perücke, aber immer noch mit ausreichend Lidschatten, rotem Anzug und grüner Ledertasche auf dem platten Land in Itzehoe. Bild in Detailansicht öffnen
Filmstill (Foto: ard-foto s1)
Getarnt als Hetero-Mann versteckt sie sich in der Familie der Grundschullehrerin Katja (Kim Riedle) auf dem platten Land in Schleswig-Holstein. Bild in Detailansicht öffnen
Filmstill (Foto: ard-foto s1, © SWR/Georges Pauly)
Insbesondere der 10-jährige Lukas (Bruno Thiel) freut sich über den neuen Untermieter: Der sensible Junge wird in der Schule gemobbt, und seitdem sein Vater David ausgezogen ist, sucht er ein neues Vorbild. Bild in Detailansicht öffnen
Filmstill (Foto: ard-foto s1, © SWR/Georges Pauly)
Um Katja von ihren Eheproblemen abzulenken, entführt Volker sie für eine Nacht in die Hamburger „Donauwelle“ … Begeistert von der ausgelassenen Darbietung in der „Donauwelle“: Katja (Kim Riedle, l.). (mit Judy Blabla (Meik van Severen, 2. v. l.) und Wella Klitorax (Christian Feder, 2. v. r.)) Bild in Detailansicht öffnen

Drehbuch ist inspiriert vom Varieté und der Kunstform des Drag

Das ist abenteuerlich zusammengewürfelt, bleibt aber sympathisch, weil das Drehbuch von Julia Penner und Andreas Wrosch sich nicht darauf versteift, eine logisch vielschichtig grundierte Erzählung zu entwickeln, sondern es ist vor allem inspiriert von Varieté und der Kunstform des Drag.

Und transportiert ein Lebensgefühl: Stolz, Melancholie, Humor, und Offenheit für die unterschiedlichsten Vorstellungen von Familie.

Schwieriges Thema zu bester Sendezeit

Vermieterin Katja in Itzehoe ist Lehrerin und frisch getrennt. Und wie es das Drehbuch will, gewinnt sie Volker nach anfänglichen Schwierigkeiten als Musicalhilfslehrer, dabei kann er unter anderem ihrem 10jährigen Sohn Lukas Hilfestellung geben. Der möchte nämlich bei „Cinderella“ nicht als strahlender Prinz, sondern als Prinzessin im Kleid auftreten.

Man kann Vieles gegen den Film einwenden: dass er einem familientauglichen Diversitätsworkshop ähnelt. Dass Spott und Diskriminierung, die Dragqueens tagtäglich erleben, nur am Rande vorkommen.

Filmstill (Foto: ard-foto s1, © SWR/Georges Pauly)
Axel Milberg über seine Figur Vivian: „Ihre Über-Inszenierung ist gewiss auch eine Parodie, ein Riesenspaß und eine Huldigung an das Weibliche. Das habe ich gelernt: Übertreibe! Gehe in die Maßlosigkeit! Geschmack und Dezenz sind bürgerliche Tugenden, die hier fatal wären.“

Und dass es offensichtlich einen Tatort-Kommissar in Frauenkleidern braucht, um einen solchen Film überhaupt und dann noch zur besten Sendezeit unterzubringen.

Aber zumindest ist die Darstellung von Axel Milberg sowohl als Volker wie auch als Vivian in atemberaubender Maske, hochtrabenden Perücken und Glitzerschminke über viele Zweifel erhaben.

Axel Milberg glänzt als empfindsamer Mann und Kunstfigur Frau

Nie parodiert dieser Film irgendetwas, Sexualität ist kein großes Thema. Millberg spielt in erster Linie einen sehr empfindsamen Mann, der gleichzeitig selbstverliebt und verletzlich ist und der in der Kunstfigur als Frau Stärke und Selbstsicherheit findet. Eine übertriebene, selbstironische und genau deshalb sehr ernsthafte Darstellung.

Und die hat offensichtlich auch den Kolleginnen und Gästen aus der „Donauwelle“ gefallen, denn wenigstens bei denen handelt es sich um „echte“ Dragqueens, die in ihren Bühnenoutfits spielen und dem ganzen Unterfangen inklusive seinem Hauptdarsteller sehr wohlwollend gegenüber stehen.

10 Jahre hat der Film gebraucht, bis er so realisiert werden konnte. Es ist noch nicht alles Regenbogenfarben was glänzt, aber er kommt gerade zur rechten Zeit.

„Meine Freundin Volker“ in der ARD Mediathek, 17.5. 20:15 Uhr Das Erste

Sachbuch Bunte Historie: „Queer” – Die erste queere Geschichte Deutschlands

Das Buch „Queer. Eine deutsche Geschichte vom Kaiserreich bis heute“ stellt Verbindungen zwischen historischen Fakten und aktuellen Debatten her. Autor Prof. Benno Gammerl beleuchtet 150 Jahre queerer Subkultur mit vielen Quellen und Verweisen – darunter Perspektiven, die von der cis-schwulen und cis-lesbische Geschichtsschreibung bislang überschattet wurden.

SWR2 Kultur aktuell SWR2

Trier

Bühne Queere Operette bringt Retroflair nach Trier

Retro ist „in” – Serien wie Babylon Berlin oder Ku’damm 56 machen es vor. Auch die „Operette für zwei schwule Tenöre“ bedient dieses Gefühl und transportiert eine moderne Botschaft.

SWR Kultur SWR Fernsehen

Gespräch Eurovision Song Contest 2023: Eine Bühne für queere Themen

Seit 1956 ist der Eurovison Song Contest ein musikalisches Treffen, bei dem es vor allem um Pop und leichte Musik geht. Aber schon lange steckt dahinter viel mehr als nur Glitzer und Show: Denn der Eurovision Song Contest ist ein verbindendes Ereignis für die queere Community. Das sagt Nadine Lange, Tagesspiegel-Redakteurin.

SWR2 Kultur aktuell SWR2

Stand
AUTOR/IN
Karsten Umlauf