Streaming

Binge Watching: Wenn „Durchsuchten“ das Mittel der Wahl ist

STAND
AUTOR/IN
Karsten Umlauf

Binge Watching ist zu einer weit verbreiteten Praxis der Mediennutzung geworden. Aber was beschreibt der Begriff genau? Darüber hat die in Mainz promovierte Germanistin Maren Lickhardt von der Uni Innsbruck ein Buch geschrieben: „Binge Watching“, erschienen in der Reihe „Digitale Bildkulturen“ im Wagenbach-Verlag.

Audio herunterladen (4,1 MB | MP3)

Bingen als Form der Selbstkasteiung?

Im Englischen kann man noch ganz sportlich vom „Medien-Marathon“ sprechen, im Deutschen existiert als Synonym für das Binge Watching nur der Begriff „Durchsuchten“. Das kann unter Jugendlichen, die gerade die neueste Staffel von Outer Banks in einer Nacht absolviert haben, auch als prahlerisch-ironische Form der Selbstkasteiung gemeint sein.

Klingt aber vor allem nach Krankheit und Kontrollverlust. Maren Lickhardt widerspricht: Mit Qualität habe das An-einem-Stück-Sehen von Serien nicht per se zu tun, auch wenn in den Feuilletons seit zehn Jahren das horizontale Erzählen sogenannter Qualitätsserien debattiert und als kulturell wertvoll eingeordnet wird.  

Bingewatching als Normalfall

Angefangen hat Netflix mit der Serie „House of Cards“, alle Folgen einer Staffel direkt zugänglich zu machen. Mittlerweile ist das „Bingen“ wohl eher die Regel als die Ausnahme der Serienrezeption.

Wer dazu Überraschendes oder gänzlich Neues erfahren will, muss in Maren Lickhardts 76seitigem Büchlein etwas suchen. Es ist als Einführung gedacht, und versammelt und resümiert kompakt und verständlich die Forschung der letzten Jahre zu dem Thema.  

Nicht jede Serie ist bingeable

Mehrere Folgen hintereinander zu sehen ermöglicht ein intensiveres Eintauchen in die Geschichte, mehr emotionale Beteiligung und ästhetische Eigenheiten zu erkennen. Ich binge, also bin ich ein echter Serienfan, könnte man als Motto ableiten.

Allerdings gibt es, das arbeitet das Buch gut heraus, Serien, die wegen ihrer Dichte oder artifiziellen Machart weniger „bingeable“ sind als andere. Die Rückkehr vieler Streamer zur wochenweisen Veröffentlichung habe damit aber nichts zu tun, sondern sind für Maren Lickhardt vor allem ein Ausdruck von Krise und Konkurrenz.

Freieres und flüssigeres Erzählen

Als Ergebnis warten viele Serienfans lieber mehrere Wochen bis die ganze Staffel online steht, als sich mit kleinen Portionen zufrieden zu geben. Und das, so spekuliert die Autorin, führt auch zu Wechselwirkungen zwischen Serienproduktion, dem Storytelling und der Praxis des Binge Watching.  

Der Druck, gleich in den ersten Folgen mit hoher Intensität die Leute bei der Stange zu halten, habe spürbar nachgelassen. Der Trend zur Serie als „XXL-Film“ oder auch zur kürzeren und leichter „durchzusuchtenden“ Miniserie scheint das zu bestätigen.

Binge Watching könnte also zu einem freieren und flüssigeren Erzählen führen. Das lässt sich zumindest nicht zweifelsfrei widerlegen und wäre in der Tat ein bemerkenswertes Ergebnis vieler schlafloser Nächte.

Gespräch 25 Jahre Netflix: „Deutliche Erweiterung unserer Sehgewohnheiten“

„Netflix hat vor allem dafür gesorgt, dass wir ein vielfältigeres Programm abrufen können“, sagt die Film- und Fernsehwissenschaftlerin Susanne Marschall im Gespräch mit SWR2. Allein schon, dass Filme und Serien auf Isländisch oder Hindi verfügbar sind, sei eine deutliche Erweiterung unserer Sehgewohnheiten, meint Marschall: „Da gibt es viel zu entdecken, wenn man es entdecken will.“ Trotz zunehmender Konkurrenz durch Disney, Amazon Prime und Sky stehe Netflix derzeit gut da, erklärt die Direktorin des Zentrums für Medienkompetenz der Uni Tübingen.

SWR2 Kultur aktuell SWR2

Viraler Streaming-Hit „Wednesday“ bricht Rekorde: Der kalkulierte Erfolg der neuen Netflix-Serie

Die neue Teenager-Mystery-Serie „Wednesday“, am 23. November bei Streaming-Gigant Netflix veröffentlicht, bricht Rekord um Rekord. In der ersten Woche wurden mehr als 341 Millionen Stunden der Serie gestreamt. Damit ist „Wednesday“ das erfolgreichste englischsprachige Seriendebüt in der Geschichte des Streaming-Giganten. Was ist das Geheimnis des Erfolgs?

Streaming und Gaming Streamst du noch oder spielst du schon? Was Netflix im Gaming-Business will

Der Streaming-Gigant Netflix — ursprünglich hervorgegangen aus einer Online-Videothek mit Postversand — will sich nun verstärkt um den Aufbau einer Gaming-Sparte kümmern. Das kündigte der Konzern in seinem Bericht für das zweite Quartal 2021 an. Damit bestätigen sich auch erste Gerüchte, die nach der Anwerbung des früheren EA- und Oculus-Managers Mike Verdu Mitte Juli aufkamen. Was verbindet Gaming und Streaming — und welches Potential haben Videospiele für Medienunternehmen?

STAND
AUTOR/IN
Karsten Umlauf