Das letzte deutsche Genie
An Selbstbewusstsein mangelt es dem jungen Brecht nicht. Er sei das letzte deutsche Genie, verkündet er 1915. Da ist er grade wegen defätistischer Reden mitten im Krieg fast von der Schule geflogen und schreibt bereits erste Dramen und Gedichte. Tom Schilling spielt den jungen Wilden mit mächtig dicker Hose: ein hellwacher, kritischer Geist und ein großer Verführer.
Brechts Leben in 180 Minuten
Regisseur Heinrich Breloer verdichtet das bewegte Leben Brechts auf zweimal 90 Minuten. Spielszenen, dokumentarische Aufnahmen und Zeitzeugeninterviews verwebt er zu einem engen Geflecht. Eigentlich hätte es ein Dreiteiler werden sollen, was am Geld scheiterte. So konzentriert sich Breloer zum einen auf die Anfangsjahre des Autors, zum anderen auf sein Wirken in der DDR bis zu seinem frühen Tod 1956. Die Exilzeit dazwischen kommt nur in kurzen Rückblenden vor.
Der zweite Teil ist in seiner Widersprüchlichkeit der interessantere. Denn Brecht, jetzt gespielt von Burghart Klaußner, schwankt zwischen Solidarität mit den Ideen der SED und der Kritik am repressiven System. Nicht immer macht der überzeugte Kommunist dabei eine gute Figur.
Großes Drama auf und neben der Bühne
In hohem Tempo reiht Breloer die großen Dramen auf und jenseits der Bühne aneinander. Letztere erleben vor allem die Frauen an Brechts Seite. Meist sind es mehrere gleichzeitig, oft Künstlerinnen, die er in symbiotischen Arbeitsbeziehungen ausbeutet und dann zur Seite schiebt.
Adele Neuhauser ist der heimliche Star des Films
Elisabeth Hauptmann zum Beispiel, die Co-Autorin der „Dreigroschenoper“ oder später die Dänin Ruth Berlau. Sie folgt Brecht nach Berlin, wo sie von dessen Frau Helene Weigel nicht gerade mit offenen Armen empfangen wird. Adele Neuhauser in der Rolle der Weigel, die den Laden zusammenhält, ist der heimliche Star des Films. Sie macht das ganze Seelendrama dieser Frau offenbar.
Brecht und die starken Frauen
Was genau all die starken Frauen an Brecht so magisch anzieht, können die Spielszenen allerdings nicht erklären. Erst in den Zeitzeugen-Interviews scheint das Bild eines Mannes auf, der nicht nur skrupellos nahm, sondern auch selbst viel zu geben hatte.
Betagte Damen berichten sehr lebendig über das Charisma, die Zärtlichkeit und die Menschenkenntnis Brechts. 60 Stunden Filmmaterial hat Heinrich Breloer mit diesen Interviews zusammengetragen.
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Zweiteiler über Brecht als Routineübung
Einiges hat er schon für eine Brecht-Doku in den 70ern gesammelt, anderes in den letzten Jahren ergänzt. So ist ein Zweiteiler entstanden, der mit seiner Fülle beeindruckt, allerdings nie wirklich in die Tiefe geht und auch ästhetisch wenig riskiert. „Brecht“ schnurrt routiniert ab.
„Glotzt nicht so romantisch!“ hat der Autor seine Zuschauer einst aufgefordert. Für einen Film über einen, der so radikal mit alten Sehgewohnheiten brach, hätte es ruhig ein bisschen mehr Mut sein dürfen.