Filmkritik: "Mary Poppins' Rückkehr" von Rob Marshall

Ein Riesenlöffel Zucker

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Von Katja Nicodemus

Mary Poppins ist wieder da, das fliegende Kindermädchen von P.L. Travers. 54 Jahre nach der ersten Verfilmung taucht sie im London von 1930 wieder auf. "Mary Poppins Rückkehr" ist keine Neuverfilmung, sondern die Fortsetzung der Geschichte. Die allerdings mit ihren bunten, zuckrigen Animationsbildern wie eine filmische Bonbonniere wirkt.

Perfekte Landung im perfekten Outfit

Hollywood hat sich erstaunlich viel Zeit gelassen, um Mary Poppins wieder am Himmel auftauchen zu lassen. 54 Jahre nach Julie Andrews schwebt nun Emily Blunt mit Regenschirm durch die Londoner Wolken. Selbst nach der windigen Landung sitzt die Kleidung ihres zaubernden Kindermädchens perfekt.

Fortsetzung der Geschichte

"Mary Poppins‘ Rückkehr" ist keine Neuverfilmung, sondern eine Fortsetzung, die ihre Existenz inhaltlich begründet. Nach Jahrzehnten kehrt Mary Poppins zu der Familie im Londoner Kirschweg zurück, die sie einst als Kindermädchen umkrempelte.

Verzweifelte Situation in London 1930

Gerade erst hat der nun erwachsene Michael Banks, gespielt von Ben Wishaw, seine Frau verloren. Gemeinsam mit seiner Schwester und seinen drei kleinen Kindern lebt er zu Beginn der dreißiger Jahre im elterlichen Haus. Noch, denn draußen tobt die Weltwirtschaftskrise.

Es ist eine verzweifelte Situation, und die Anweisungen von Mary Poppins geben dem Prekariat der Londoner Mittelschicht vertrauten Rückhalt.

Mary Poppins reist in verzauberte Welten

Mary Poppins nimmt sich der Zöglinge des desolaten Haushalts an. Wie im Original von 1964 reist sie gemeinsam mit den kleinen Kindern in zauberischen Welten voller animierter Figuren. Auch hier verschmelzen Musicalnummern und die Songs des Kindermädchens mit opulenten Hintergründen.

Es fehlt die anarchisch-subversive Seite

Im ersten Poppins-Film waren die fantastischen Parallelwelten ein Gegenentwurf zur englischen Klassengesellschaft, ihren steifen Umgangsformen und Regeln. Im Film der Hollywood-Routiniers Rob Marshall fehlt diese anarchisch-subversive Seite, genauso wie die leise Melancholie, die die Bilder des Originals durchwehte.

Bunte, zuckrige Animationsbilder

Mit seinen bunten, geradezu zuckrigen Animationsbildern wirkt "Mary Poppins' Rückkehr" wie eine filmische Bonbonniere. Doch zum Glück setzt das Spiel von Emily Blunt einen gegenläufigen Akzent. Ihre Mary Poppins hat ein Geheimnis.

Verpasster Blick auf die Abgründe eines Kindermädchens

Unter Blunts autoritärem Tonfall scheint sich eine ganz eigene Kindlichkeit zu verbergen, unter ihren kontrollierten, choreographierten Bewegungen lauert die Sehnsucht nach Befreiung, Spiel, nach dem großen Versprechen der Fantasie.

Sowohl Mary Poppins als auch Emily Blunt hätten einen Film verdient, der auch in die Abgründe des Kindermädchens blickt. Denn Mary Poppins ist eine Figur, die aus dem Nichts kommt und ins Nichts geht, eine Fantasiegestalt, zusammengesetzt aus den Sehnsüchten unser aller verlorenen Kindheiten. Was Mary Poppins den Kindern gibt, scheint ihr auf faszinierende Weise selbst zu fehlen.

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SWR