Filmkritik

„Gesicht der Erinnerung“ – Grandiose Verena Altenberger in einem der schönsten Filme von Dominik Graf

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Karsten Umlauf

Als Kristina den deutlich jüngeren Patrick kennen lernt, glaubt sie, ihren Ex-Geliebten Jakob wiederzuerkennen. Aber der ist schon lange tot. Kann man die Seele eines Verstorbenen in einem anderen Menschen wiederfinden? Dominik Graf hat darüber einen seiner schönsten Filme gemacht, mit einer umwerfenden Verena Altenberger.

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Verlust eines geliebten Menschen

Physiotherapeutin Christina hat mit ihren Erinnerungen und Visionen zu kämpfen. Auch 20 Jahre nach dem Tod ihres Geliebten Jakob hat sie diesen Verlust noch nicht verwunden. Sie war damals Teenager, er Ende 30 und verheiratet. Jakob stark auf dem Weg zu ihr starb bei einem Verkehrsunfall. Dann lernt Christina zufällig den 20-jährigen Patrick kennen, in dem sie „ihren“ Jakob wiederzuerkennen glaubt. Und Patrick singt ihr schon nach kurzer Liebeslieder.

Filmstill (Foto: SWR, SWR / Jacqueline Krause-Burberg)
Als 16-Jährige erlebte Christina ihre große Liebe mit dem 39-jährigen Jacob. Es war eine heimliche Liebe, weil Jacob die Trennung von seiner Familie nicht über sich brachte. SWR / Jacqueline Krause-Burberg Bild in Detailansicht öffnen
Als ihr Geliebter Jakob tödlich verunglückte, hinterließ er eine unwiderrufliche Lücke in Christinas (Verena Altenberger) Leben. SWR / Jacqueline Krause-Burberg Bild in Detailansicht öffnen
Zwanzig Jahre später rettet der junge Patrick (Alessandro Schuster) Christina vor einem Gewitter. SWR / Jacqueline Krause-Burberg Bild in Detailansicht öffnen
Er verliebt sich in sie, wirbt um sie. Und zum ersten Mal seit damals ist auch Christina wieder von einem Mann fasziniert. SWR / Jacqueline Krause-Burberg Bild in Detailansicht öffnen
Von Anfang an erinnert sie Patrick an Jacob, von seinem freundlichen und souveränen Wesen bis hin zu charakteristischen Gesten. Aus den beiden wird ein leidenschaftliches Liebespaar. SWR / Jacqueline Krause-Burberg Bild in Detailansicht öffnen
Christina ist glücklich mit Patrick, in dem sie immer mehr den wiedergefundenen Jacob sieht. Aber je mehr die beiden Männer für Christina zu einer Person werden, desto irritierter ist Patrick. SWR / Jacqueline Krause-Burberg Bild in Detailansicht öffnen
Trotz ihrer Liebe treiben die beiden auseinander. Als Patrick beginnt, nicht nur Zufall in ihrer Begegnung zu sehen, ist Christina verschwunden. SWR / Jacqueline Krause-Burberg Bild in Detailansicht öffnen

Die Amour fou weckt Erinnerungen

Jetzt ist es der junge Mann und die reifere Frau, wenn man so will, eine Amour fou. Gerade für Christina ist sie eine schicksalhafte Verbindung, die viele Erinnerungen weckt und sie verwirrt. In ihrem Kopf verschmelzen beide Männer mehr und mehr zu einer Person, Patrick ist zugleich fasziniert und überfordert.

Ob man dem Gedanken von Seelenwanderung oder schicksalhaften Ereignissen überhaupt etwas abgewinnen kann oder nicht, ist gar nicht so entscheidend. Dominik Grafs Film ist eine intensive Reflexion über die Liebe und den Tod, über Momente des Zusammenseins, die das Gefühlsgedächtnis des Körpers formen und über die Grenzen des Lebens hinaus verbinden.

Zauberhafte Filmmusik und eine Kamera mit Eigenleben

Der Film geht ganz zauberhaft mit Musik um, die Spannung mit Klaviergirlanden oder dissonanten Klängen auflädt und den Eindruck vermittelt, als würde man in Christinas Kopf reinkriechen. Die Kamera scheint dagegen manchmal ein Eigenleben zu führen, fährt an den Gesichtern vorbei, lässt sich inspirieren von Unschärfen, die aus zu großer Nähe entstehen oder von Lichtreflexen, die plötzlich eine Spinne einfangen als Symboltier der fragilen Erinnerung. Dann erlaubt sich Dominik Graf wieder Leerstellen und harte Schnitte, lässt die Story episodisch dahingleiten.

Filmstill (Foto: SWR, © SWR/Jacqueline Krause-Burberg)
Weil Jacob (Fabian Busch) verheiratet war, trafen er und die junge Christina (Judith Altenberger) sich heimlich im Wald. © SWR/Jacqueline Krause-Burberg

Grandiose Verena Altenberger in einem der schönsten Filme von Dominik Graf

Das fordert die Zuschauer vielleicht mehr als viele andere Fernsehfilme. Aber „Gesicht der Erinnerung“ nimmt einen auch immer wieder mit und bleibt bis zum bittersüßen Ende sehr überzeugend. Mit poetischer Bildsprache, klasse Dialogen, mit unaufdringlichem Humor und einer umwerfenden Verena Altenberger als Christina, die die Liebe in vielen Facetten verkörpert: schwärmerisch verträumt,  gleichzeitig nonchalant geerdet und latent gefährdet.

In den Rückblenden spielt übrigens ihre eigene Schwester Judith die junge Kristina, auch das ist sehr besonders. Der Tod ist ein harter Einschnitt, gleichzeitig fließt von der Energie des Lebens und der Liebe zweier Menschen irgendwo irgendetwas weiter. Aus diesem geheimnisvollen Zwischenraum hat Dominik Graf mit „Gesicht der Erinnerung“ einen seiner schönsten Filme gemacht.

„Gesicht der Erinnerung“ in der ARD Mediathek und am 8.2. im Ersten

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