Der Mythos von Orpheus, der seine Frau aus der Unterwelt zurückholen will, gehört zu den beliebtesten Motiven der Operngeschichte. In „Orphea in Love“ hat Film- und Opernregisseur Axel Ranisch die Geschichte aufgegriffen und in einem wilden Opern-Mash-Up mit vertauschten Rollen neu erzählt.
Weiblicher Orpheus jobbt an der Operngarderobe
Die Estnin Nele lebt in München. Ihren Lebensunterhalt verdient sich die verträumte junge Frau mit Jobs in einem Call Center und an der Operngarderobe. Dabei hätte sie eigentlich das Zeug, selbst auf der Bühne zu stehen. Als bei einer Aufführung von „Madama Butterfly“ der Sopranistin mitten in der Arie die Stimme versagt, singt Nele aus dem dunklen Zuschauerraum einfach weiter.
Der Agent der halskranken Sängerin, ein zwielichtiger Typ namens Höllbach, wird auf Neles großartige Stimme aufmerksam und bietet ihr einen Deal an. Doch Nele ist erst einmal viel zu abgelenkt. Sie hat sich Hals über Kopf in den Straßentänzer und Kleinkriminillen Kolja verliebt. Der hat erst ihr Portemonnaie und dann ihr Herz gestohlen.
In einer nächtlichen Unterführung kommen sich die beiden näher: er bringt seine Gefühle im Tanz zum Ausdruck, sie mit Gesang. Bevor die Liebesgeschichte allerdings richtig Fahrt aufnehmen kann, stirbt Kolja bei einem Unfall. Der Agent Höllbach bietet Nele daraufhin ein teuflisches Geschäft an. Sie darf in die Unterwelt hinabsteigen und Kolja suchen, muss dafür aber mit ihrer Gesangsstimme bezahlen.

Nele tauscht ihre Stimme gegen das Leben ihres Geliebten
Stimme gegen Liebe, das klingt eigentlich eher nach Arielle als nach Orpheus. Nele zögert jedoch nicht und befreit ihren Geliebten aus der Unterwelt. Dass sie danach tatsächlich nicht mehr singen kann, scheint sie in Anbetracht des gewonnenen Liebesglücks nicht groß zu stören.
Eine verwunderliche Entscheidung von Regisseur Axel Ranisch, der den antiken Mythos hier doch bewusst umdreht und die Frau zur Heldin der Geschichte macht. Anders als all die Butterflys, Traviatas und Desdemonas, deren Arien im Film zu hören sind, darf diese Orphea zwar leben und lieben, aber dafür keine künstlerische Stimme mehr haben. Das hinterlässt einen schalen Nachgeschmack.
Dabei ist „Orphea in Love“ doch eigentlich eine Liebeserklärung an die Oper und den Gesang. Ranisch, der selbst auch an Bühnen inszeniert, liebt Klassik und setzt für den Film Arien quer durch vier Jahrhunderte ein, mal als realistischer Teil der Filmhandlung, mal als Ausbruch daraus, zum Beispiel wenn Neles Call-Center-Kollege zu einer großen Arie ansetzt, dann aber von der biestigen Chefin in die Realität zurückgeholt wird.

Interessantes Experiment, nicht nur für Opernfans
„Orphea in love“ ist eine wilde Mischung: Barockarien kombiniert Ranisch ebenso selbstverständlich mit Streetdance-Moves wie er Realität und Traum ineinanderfließen lässt und Momente größter Ergriffenheit mit einer gehörigen Portion Ironie bricht. Das funktioniert mal mehr, mal weniger gut.
Streckenweise mäandert der Film etwas ziellos vor sich hin und wird vor allem von der starken Sängerin Mirjam Mesak in der Hauptrolle zusammengehalten.
Insgesamt ist „Orphea in Love“ ein interessantes Experiment. Der Film präsentiert Oper in einem neuen Gewand und begeistert vielleicht auch Leute, die bislang nichts mit Klassik anfangen konnten, für die Magie der Oper.
„Orphea in Love“, ab 1. Juni im Kino
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