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Opioid-Krise und queere Subkultur: Kino-Doku „All the Beauty and the Bloodshed” porträtiert die Fotografin Nan Goldin

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Julia Haungs

Die bekannte Fotografin Nan Goldin hat in den letzten Jahren als politische Aktivistin von sich reden gemacht: als Gegnerin der schwerreichen Pharmadynastie Sackler, die mitverantwortlich ist für die Opioid-Krise in den USA. Die oscarprämierte Dokufilmerin Laura Poitras hat Nan Goldin in „All The Beauty and the Bloodshed” porträtiert.

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Kampf gegen die Pharmadynastie Sackler

Im Atrium des New Yorker Guggenheim-Museums schneit es Rezepte. Hunderte weiße Zettel schweben Richtung Boden, während über den Balustraden des schneckenförmigen Baus Transparente entrollt werden. Es ist eine Protestaktion der Aktivistengruppe P.A.I.N. rund um die Fotografin Nan Goldin. Seit 2017 kämpft die renommierte Künstlerin gegen die Pharmadynastie Sackler – eine Familie, die Museen und andere kulturelle Einrichtungen weltweit mit viel Geld unterstützt.

Filmstill (Foto: © 2022 Participant Film)
Die amerikanische Fotografin Nan Goldin ist ein Star in der modernen Kunstwelt. Verwurzelt in der New Yorker No-Wave-Underground-Bewegung, hat sie die Kunst der Fotografie revolutioniert. Bild in Detailansicht öffnen
Mit ihrem herausragenden Gespür, den richtigen Moment einzufangen, und ihrem politischen Blick durch die Kamera hat sie die Definitionen von Gender und Normalität stets in Frage gestellt. Bild in Detailansicht öffnen
Ihre Fotografien widmen sich Themen wie Sexualität, Sucht und Tod. Sie sind von schonungsloser Direktheit, großer Intimität und Vielschichtigkeit. Bild in Detailansicht öffnen
Nach einer Operation wird Goldin ein starkes Schmerzmittel verschrieben. Sie wird abhängig, schafft aber im Gegensatz vielen anderen den Ausstieg. Seither kämpft sie als Aktivistin gegen die Pharmadynastie Sackler, die hauptverantwortlich für die weltweite Opioid-Krise ist. Bild in Detailansicht öffnen
Doch die Milliardärsfamilie gehört auch zu den weltweit größten Kunstmäzenen, auf die nicht zuletzt auch Künstler wie Goldin selbst angewiesen sind. Mit mutigen Aktionen zwingt Nan Goldin große Museen wie den Louvre, die Tate, das Guggenheim und das Met sich von den Sacklers zu distanzieren. Bild in Detailansicht öffnen
Die Kinodoku „All the Beauty and the Bloodshed” ist eine brillante Collage aus Diashows, intimen Interviews, beeindruckender Fotokunst und seltenen Aufnahmen der bekannten Fotokünstlerin und Aktivistin Nan Goldin, die ihr Leben und ihren sehr persönlichen Feldzug gegen die Familie Sackler dokumentiert. Bild in Detailansicht öffnen

Über 600.000 Amerikaner sind bisher Opfer ihrer Opioid-Sucht geworden

Reich geworden sind die Sacklers mit dem Verkauf von verschreibungspflichtigen Schmerzmitteln. Das verheerendste: OxyContin. Es macht schnell süchtig und ist oft der Einstieg in eine Drogensucht. Das Medikament gilt als Auslöser der Opioid-Krise, die bislang über 600.000 Amerikaner*innen das Leben gekostet hat. Auch Nan Goldin selbst hat eine schwere Abhängigkeit samt Entzug hinter sich.

Filmstill (Foto: © 2022 Participant Film)
Mit ihrem herausragenden Gespür, den richtigen Moment einzufangen, und ihrem politischen Blick durch die Kamera hat Nan Goldin die Definitionen von Gender und Normalität stets in Frage gestellt.

Das Private und das Politische sind eng verbunden bei Nan Goldin

Regisseurin Laura Poitras, die mit „Citizenfour“ bereits eine oscarprämierte Doku über den Whistleblower Edward Snowden gedreht hat, verschränkt Goldins Kampf gegen die Familie Sackler mit einem Porträt der eigenwilligen Künstlerin. In ihrem Werk sind das Private und das Politische von Anfang an eng verbunden.

In den 80er-Jahren schafft Goldin den Durchbruch in der New Yorker Kunstwelt mit Fotos von sich und ihrem Freundeskreis. Allerdings ist es ein ganz unalltäglicher Alltag, den sie da schnappschussartig einfängt: eine queere Subkultur von Undergroundkünstlern, Partygängern und Drag Queens.

Mischung aus Lebensbeichte und Lebenswerk

In „All the Beauty and the Bloodshed” montiert Poitras Nan Goldins Fotos und Diashows zu einer beeindruckenden Collage. Im Off legt die 69-Jährige dazu eine Art Lebensbeichte ab. So erzählt sie nicht nur von eigener Sucht und Gewalterfahrung, sondern auch von den großen Verlusten ihres Lebens: wie ihre rebellische Schwester, nachdem sie von ihren Eltern in die Psychiatrie abgeschoben worden war, Selbstmord beging. Oder wie die AIDS-Epidemie in den 80ern fast ihren gesamten Freundeskreis tötete.

Persönlicher Schmerz als Antrieb für Goldins Kunst und Aktivismus

Das eindringliche Filmporträt legt offen, dass die Kunst Goldins aus tiefem persönlichen Schmerz kommt. Dieser ist zugleich der Antrieb für ihren politischen Aktivismus. Wirkt Goldins Kampf gegen die toxische Philantropie der Sacklers zu Beginn aussichtslos, gerät er am Ende zum Erfolg: Einigermaßen unwillig nehmen die großen Museen kein Geld mehr von den Sacklers an und tilgen letztendlich sogar deren Namen von den Wänden.

„All the Beauty and the Bloodshed“ zeigt eine unkonventionelle Künstlerin und eine mutige Aktivistin, für die Kunst und Leben schon immer zwei Seiten derselben Medaille waren.

Trailer Kinodoku „All the Beauty and the Bloodshed”, Kinostart 25.5.

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