Im Käfig des zugewiesenen Geschlechts
Auf der Bühne steht ein riesiger Glaskasten — ein Käfig, auch wenn er durchsichtig ist. Und in diesem Käfig wächst der junge Gabriel heran, abgeschieden von der Welt. Denn niemand darf erfahren, dass er als Mädchen geboren wurde. Aber sein Großvater, der Fürst, brauchte einen Stammhalter und ließ das kleine Mädchen als Junge großziehen. Und so sehen wir einen jungen Menschen, Gabriel, wie er im Fechtanzug durch seinen gläsernen Käfig fegt, ungestüm und voller Energie.

Doch dann kehrt der Großvater zurück, um Gabriel die Wahrheit über seine Geburt zu offenbaren. Jetzt wo er volljährig wird, soll er wählen: Entweder er spielt weiter die Rolle als Mann und darf das Familienerbe antreten oder er wählt ein Leben als Frau und wird ins Kloster abgeschoben. Gabriel haut erst einmal ab.
Aktuellste Fragen der Debatte um Gender und biologisches Geschlecht
Er*sie will ihren Cousin kennen lernen, der verarmt ist und wegen ihr nicht den Fürstenthron besteigen konnte. Doch – wie könnte es anders sein: Die beiden verlieben sich ineinander. Astolphe ist ganz hingerissen, als plötzlich sein Cousin, dieser hübsche junge Mann auftaucht.

Die Liebe der beiden zueinander hat unter diesen Voraussetzungen keine Chance. Wie die Autorin George Sand die Zerrissenheit der Figuren darstellt, hat die Dramaturgin Anna Haas fasziniert und berührt. Das Theaterstück ist 183 Jahre alt und dennoch passt sie perfekt in unsere heutige Diversity- und Gender-Debatte, meint Haas.
Zerrissenheit zwischen Männer- und Frauenrollen
Bei „Gabriel“ handle es sich um „die Geschichte einer Frau, die aber als Mann komplett sozialisiert wird und einfach keinen Platz in der Gesellschaft findet, weil beides eine Rolle spielt — Biologie und Sozialisation.“ Es gebe für die Figur kein raus, keine Rolle, die sie wirklich voll einnehmen könne. „Dieses Zerrissensein zwischen den Rollen, die man für sich selber empfindet und die eine Gesellschaft einem vorschreibt — da keinen Weg zu finden, finde ich etwas Hochaktuelles“, erklärt Dramaturgin Anna Haas.
Die Inszenierung belässt das Geschehen zwar im Italien der Renaissance, aber Kostüme und Sprache zeigen auch immer wieder moderne, zeitgenössische Elemente. Und natürlich wurde im Produktionsteam auch darüber diskutiert, wie man diese Rolle des Gabriels bzw. der Gabrielle besetzen sollte.
Getragen von Swana Rodes Leistung und Wandelbarkeit als Hauptfigur
„Ich denke, es wird in der Zukunft noch viele Interpretationen geben, die auch mit Transgender Schauspieler*innen spannend sein können“, erklärt Regisseurin Sláva Daubnerová. Man habe aber mit Swana Rode für das Stück eine tolle Schauspielerin im Ensemble gehabt und „vielleicht hat uns mehr das Schicksal von George Sand inspiriert. Wir haben uns mehr mit dem Blick von der Frauenperspektive beschäftigt.“
Die Schauspielerin Swana Rode geht ihre Rolle sehr körperlich an. Mitten in ihren Bewegungen wechselt sie von eher anmutig und weich hin zu kraftvoll und energisch. Wobei es fließende Übergänge sind und keine Grenze gezogen wird zwischen weiblich und männlich.
Suizid als Akt größter Freiheit

Um die Stärke dieses besonderen Bühnen-Charakters zu betonen, hat die Regisseurin auch den Schluss des Stücks geändert. In Daubnerovás Inszenierung wird Gabriel nicht durch den Großvater ermordet, sondern die Aufführung endet mit den Selbstmord-Gedanken von Gabriel. Den Selbstmord möchte die Regisseurin aber nicht als Akt der Verzweiflung verstanden wissen, sondern als Akt größter Freiheit.