Oper

Klangmagie in Karlsruhe: „Wozzeck“ von Alban Berg feiert Premiere am Badischen Staatstheater

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AUTOR/IN
Bernd Künzig
ONLINEFASSUNG
Lydia Huckebrink

Szenisch hochspannend und musikalisch herausragend inszeniert Maxim Didenko in Karlsruhe „Wozzeck“, das sozialkritische und expressive Opernmeisterwerk von Alban Berg. Bereits 2020 war es am Badischen Staatstheater geplant – Corona hatte die Aufführung verhindert. Der frühere Generalmusikdirektor Justin Brown feiert ein Comeback als Gastdirigent.

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Surreales Bühnenbild à la Rene Magritte

Wie ein zerfurchtes Geschwür, im Farbton rostigen Blutes gehalten, kreist der Mond über der Bühne. Gelegentlich kommt er aber auch herunter in Gestalt eines roten Luftballons, der von einem kahlen Tänzer im roten Kleid an der Schnur gehalten wird.

Derartige Bildfindungen des Regisseurs Maxim Didenko für seine Inszenierung von Alban Bergs „Wozzeck“ am Badischen Staatstheater in Karlsruhe haben schon einmal nichts mit dem bei dieser Oper gerne umgesetzten Sozialrealismus zu tun. Hier sind wir in einem an die Bildwelten des Malers René Magritte erinnerndes Reich des Surrealen gelandet.

Videoprojektionen zeigen zu den Orchesterstücken fließend sich zusammensetzende, an Rorschachtests anlehnende Tintenklecksbilder. Die Reise geht ins seelische Innere der Titelfigur.

Wozzeck in der Psychiatrie

Wozzeck ist spätestens nach dem ersten Akt verrückt. Aus einer brüchig gewordenen Realität mit dem Doktor beim Rasieren, einer Szene zwischen Arbeit und Mordlust, beim Doktor auf der Couch oder bei Marie und dem gemeinsamen Kind zum Geldabliefern, wird er in den folgenden beiden Akten mit Zwangsjacke in einer klinisch weißen, von einer eiskalten Sonne bestrahlten Psychiatriezelle eingeschlossen.

Es ist eine höllisch klaustrophobe Angstwelt, in die Wozzeck aufgrund seiner sozialen, nicht zu bewältigenden Zwangslage geraten ist. Neben zahlreichen Doppelgängerinnen der Marie im blutroten Gewand erscheinen ihm nicht nur Hauptmann und Doktor als Quälgeister, die ihn im Sarg einschließen, sondern auch zahlreiche andere Figuren seiner Bizarrerie. Sie sind aber schon in der Partitur etwa mit der absurden Predigt des Handwerksburschen so angelegt.

Partitur ist szenisch hochspannend umgesetzt

Wenn Berg die ersten fünf Szenen mit musikalischen Charakterstücken formt oder den zweiten Akt als fünfsätzige Sinfonie komponiert, dann besitzt schon die Partitur eine konstruktive Formstrenge, die mit dem Sog des Szenischen, zum Mord an Marie führenden Abgrund, wie ein musikalisch Unterbewusstes korrespondiert.

Didenkos Inszenierung ist genau auf diesen Aspekt von Bergs Vertonung des Fragments von Georg Büchner ausgerichtet. Diese hochspannende Umsetzung eines musikalischen Surrealismus gelingt vor allem auch durch die fantasievoll üppige Bühnen- und Kostümgestaltung von Maria Tregubova und die geschickt sich einfügenden Videoprojektionen von Ilya Starilov.

 Das Ensemble ist herausragend

Vor allem gelingt es aber aufgrund der herausragenden sängerischen Leistungen des bewunderungswürdigen Ensembles ohne jegliche Abstriche. Allen voran der edle, blausamtige Bariton von Birger Radde als empathisches Kraftzentrum. 

 Helena Juntunen meistert die herausfordernden Spitzentöne der Marie ebenso treffsicher wie das exakte Changieren zwischen freiem und tonhöhennotiertem Sprechen. Der Charaktertenor von Matthias Wohlbrecht als Hauptmann und der mächtige Bass des Doktors von Vazgen Gazaryan sind entzückend grotesk und brutal, wären sie nicht so adäquat gemein.

Ein Triumpf für Justin Brown 

Ein Triumph ist der Abend für Justin Brown, der als ehemaliger Generalmusikdirektor ans Pult der von ihm lange Jahre geleiteten und geformten Badischen Staatskapelle nach Karlsruhe für diese Produktion zurückkehrt. Er macht alle komplexen Schichten dieser von Berg so perfekt austarierten Partitur durchhörbar.

Hier entsteht Klangmagie voll sogartiger Kraft. Fast drei Jahre musste man aufgrund der Corona-Pandemie auf diese Aufführung warten. Und es hat sich mehr als gelohnt. Das Opernglück ist ein die Sinne bewegender „Wozzeck“ der Extraklasse.

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