Kammeroper

Atemberaubend gut: Oper „The Lighthouse” von Peter Maxwell Davies am Nationaltheater Mannheim

Stand
AUTOR/IN
Bernd Künzig
ONLINEFASSUNG
Clemens Zoch

Die komplette Besatzung eines Leuchtturms im Norden Schottlands ist spurlos verschwunden. Diese historische Begebenheit liegt der Kammeroper „The Lighthouse“ von Peter Maxwell Davies zugrunde. Die Mannheimer Produktion ist atemberaubend gut. Sie ist eine kongeniale Umsetzung des Meisterwerks und lässt die hypnotische Kraft der Oper wirkmächtig werden.

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Oper „The Lighthouse” von Peter Maxwell Davies am Nationaltheater Mannheim (Foto: Pressestelle, Christian Kleiner)
Opernkritiker Bernd Künzig: „Die Mannheimer Produktion ist atemberaubend gut. Sie ist eine kongeniale Umsetzung von Peter Maxwell Davies‘ Meisterwerk und lässt die hypnotische Kraft der Oper wirkmächtig werden.“ Christopher Diffey (Sandy / 1. Offizier) und Timothy Connor (Blazes / 2. Offizier).

Wabernder Nebel setzt das rätselhafte Geschehen im Leuchtturm in Szene

Der Nebel kriecht über die weitgestreckte Bodenfläche der Alten Schildkrötfabrik, der Ausweichspielstätte des Nationaltheaters Mannheim. In diesen wabernden Schwaden ist alles unheimlich. Regisseurin Rahel Thiel nutzt das meteorologische Element als szenische Hauptrolle, um Peter Maxwell Davies Kammeroper „The Lighthouse“ über das rätselhafte Geschehen im Leuchtturm auf einer abgelegenen schottischen Insel in Szene zu setzen.

Der Nebel gebiert Ungeheuer. Die drei Mann starke Ablösungsmannschaft berichtet im Prolog vor dem Untersuchungsgericht, was sie vorgefunden, kann aber nicht erklären, wie oder warum die Besatzung verschwunden ist. Dann gleiten die Zeugen in die Rollen der Verschwundenen.

Oper „The Lighthouse” von Peter Maxwell Davies am Nationaltheater Mannheim (Foto: Pressestelle, Christian Kleiner)
Die drei Isolierten verlieren im alles umhüllenden Nebel und der außen tobenden See den Verstand und stellen sich ihren eigenen Gespenstern. Christopher Diffey (Sandy / 1. Offizier), Bartosz Urbanowicz (Arthur / 3. Offizier / Stimme der Karten) und Timothy Connor (Blazes / 2. Offizier).

Im alles umhüllenden Nebel verliert die Besatzung den Verstand

In „Der Schrei des Biests“, dem zweiten Teil der Oper, erleben wir in einer Rückblende, was geschehen sein könnte. Die drei Isolierten verlieren im alles umhüllenden Nebel und der außen tobenden See den Verstand und stellen sich ihren eigenen Gespenstern. Zur Unterhaltung singen sie sich Lieder vor. Blazes singt eine Hilly-Billy-Ballade über die Ermordung einer Frau durch einen jugendlichen Tunichtgut. Der Mord wird den Eltern angehängt, der Vater hingerichtet, die Mutter tötet sich selbst.

Oper „The Lighthouse” von Peter Maxwell Davies am Nationaltheater Mannheim (Foto: Pressestelle, Christian Kleiner)
Als die Wetterlage schlechter und der Nebel dichter wird. lassen sie das Nebelhorn ertönen. Sie vermeinen in ihm das Röhren des Tiers und im aufleuchten der Lichter des Versorgungsschiffs die tausend dämonischen Augen des Biests zu erkennen und offenbaren ihre inneren Gespenster. Christopher Diffey (Sandy / 1. Offizier).

Das Dröhnen des Nebelhorns wird zum Röhren des Biests

Sandys Liebessehnsucht erweist sich als Vergewaltigung der Schwester. Und der Methodist Arthur lebt seine Gewaltfantasien in blutrünstigen Bibelliedern aus, mit denen er das Biest des goldenen Kalbs beschwört. Als die Wetterlage schlechter und der Nebel dichter wird. lassen sie das dröhnende Nebelhorn ertönen. Sie vermeinen in ihm das Röhren des Tiers und in den plötzlich aufleuchtenden Lichtern des Versorgungsschiffs die tausend dämonischen Augen des Biests zu erkennen und offenbaren ihre inneren Gespenster.

Sandy ist der Mörder, Blaze der Vergewaltiger und Arthur der Schlächter. So stürzen sie sich in den Kampf gegen das Tier im Menschen. Dann nehmen sie wieder die Rollen der Männer des Versorgungsschiffs an. Unklar bleibt, ob diese sich der Besatzung des Leuchtturms in ihrem Amoklauf erwehrt haben. Der Nebel hat sich verzogen, aber es bleibt unheimlich. Das Licht des Leuchtturms wird seitdem mechanisch betrieben.

Oper „The Lighthouse” von Peter Maxwell Davies am Nationaltheater Mannheim (Foto: Pressestelle, Christian Kleiner)
Auf der Spielfläche ist die Vertikalität des Turms in die Horizontale gekippt. Christopher Diffey (Sandy / 1. Offizier), Bartosz Urbanowicz (Arthur / 3. Offizier / Stimme der Karten) und Timothy Connor (Blazes / 2. Offizier).

Abstandslos der akustischen Reise in das Herz der Finsternis ausgesetzt

Auf der Spielfläche ist die Vertikalität des Turms in die Horizontale gekippt. Lediglich an drei Tischen kleben die drei Männer klaustrophobisch aufeinander, wenige Requisiten genügen. Die im Halbrund nach oben führenden Neonröhren simulieren das aufsteigende Bauwerk. Blendleuchten werfen die inneren Gespenster als Schatten an die Wand.

In dieser Kammeroper ist man abstandslos der Körperlichkeit dieser akustischen Reise in das Herz der Finsternis ausgesetzt. Die Klangbilder einer unbarmherzigen Natur des Meeres, das Nebelhorn und der mechanische Rhythmus der entmenschten Leuchtturmlichter werden von den auf dem linken Podium positionierten Mitgliedern des Nationaltheaterorchesters unter der Leitung von Michael Zlabinger mit abgründiger Brillanz zum alles einhüllenden Klangnebel.

Kongeniale Umsetzung von Peter Maxwell Davies' Meisterwerk

Christopher Diffey als Sandy, der Blazes von Timothy Connor und Bartosz Urbanowicz als Arthur, sind darstellerisch wie stimmlich das homogene Epizentrum dieser Klangbilder zwischen Landschaftsmalerei, Kriminalfall und Horrorgeschichte. Die Mannheimer Produktion ist atemberaubend gut. Sie ist eine kongeniale Umsetzung von Peter Maxwell Davies‘ Meisterwerk und lässt die hypnotische Kraft der Oper wirkmächtig werden.

SWR2 Musikstunde Klangreise Schottland – Mehr als nur Dudelsack (1-5)

Mit Jane Höck

SWR2 Musikstunde SWR2

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