Bühnenbild ohne Kitsch
„Madama Butterfly“ hat Giacomo Puccini den Ruf des Opern-Kitschs eingebracht. Zu Unrecht. Davon ist der amerikanische Regisseur R.B. Schlather in seiner Inszenierung an der Oper Frankfurt überzeugt. Ein exotisches Dekor, japanische Blütenranken, Schminke oder Kimonos gibt es nicht.
Die beiden gegeneinander verschiebbaren Wände mit jeweils einem Fenster mögen noch an die Schiebewände aus Papier in japanischen Häusern denken lassen. Aber das ist Hintergrund für eine Schwarz-Weiß-Zeichnung im pointiert entrümpelten Bühnenbild von Johannes Leiacker. Wenn Cio-Cio San in einem verführerisch roten Kleid zur Heirat mit den betäubend sogartigen Fernklängen Puccinis auftritt, dann ist das ein Missverständnis.

Heiratsvermittler Goro
Das Rot ihres Hochzeitkleides weist schon auf den Blutstrom ihres Harakiris voraus, wenn das Illusionsgebäude dieses Mädchens am Ende zusammengebrochen ist. Im Amerikaner F.B. Pinkerton glaubt sie den Mann fürs Leben und die ewige Liebe gefunden zu haben. Der kauft die 15-jährige aber nur als Urlaubslaune dem schmierigen Heiratsvermittler Goro ab. Und der mit seinen rot geschminkten Wangen und seinem italienischen Hütchen sieht schon aus wie einer jener bösen Clowns eines Fellini-Films.

Frauenvernichter-Rollen in "Madama Butterfly"
In Puccinis Oper werden die Tenöre immer zum Verhängnis der Frauen. Keiner sorgt aber so für ihren Untergang wie der abgefeimte Pinkerton. Vincenzo Constanza sieht mit seinem schwarzen Schnauzer auch noch zufällig wie ein jugendlicher Wiedergänger Puccinis aus.
Der soll auch keine guten Beziehungen zu Frauen gehabt haben. So könnte es durchaus sein, dass diese Frauenvernichter seiner Opern heimliche Selbstporträts sind. Mit seiner hellen, vorne gelagerten Stimme, singt Constanza die schönsten Melodien auch wirklich schön. Dann hassen wir ihn noch mehr für das Verlassen seiner Cio-Cio San, die sich nur für ihn Butterfly nennt.

Selbstmord
Und dann ist da plötzlich im zweiten Akt das Kind. Abgöttisch verehrt von Cio-Cio San als Zeugnis ihrer Liebesillusion mit Pinkerton. Als er bei seiner Rückkehr an der Seite seiner richtigen amerikanischen Frau auch noch dieses gemeinsame Kind ausgeliefert haben will, begeht sie vor dessen Augen Selbstmord.
Die davor geschobene Wand verdeckt ihn gnädig vor unseren Augen. Wir sehen nur den allein gelassenen Jungen mit schlenkernden Beinen auf dem Stuhl sitzen. Das ist das grausamste Bild des Abends. R.B. Schlather inszeniert die Tragödie der an ihren Illusionen scheiternden Menschen. Überflüssiger Exotismus spielt da wahrlich keine Rolle mehr.

Antonello Manacorda überzeugt bei seinem ersten Puccini
Unterstützt, ja untermauert wird er von einem fantastischen Dirigenten. Antonello Manacorda leitet seinen ersten Puccini und durchleuchtet mit der Erfahrung des schlackenlosen Mozart-Dirigenten eine meisterhaft gearbeitete, dramaturgisch auf den Punkt gebrachte Partitur.
Da klingt keine Note sentimental, sondern vieles nach den angeblich moderneren Zeitgenossen Mahler oder Debussy. Das Tempo ist perfekt, die Balance der magisch-verführerischen Farbpalette stimmt. Und Manacorda verfügt über ein dem Stück entsprechend junges Ensemble von Stimmen. Wunderbar warm die Suzuki von Kelsey Lauritano und der empathische Bariton von Domen Krizaj als Cio-Cio San beistehender Konsul Sharpless.

One-Woman-Show der Titelfigur
Letztlich ist das Kammerspiel der „Madama Butterfly“ aber die One-Woman-Show der Titelfigur. Und die erfüllt Heather Engebretson mit erschütternder Intensität. Eine wunderschöne, tonhöhensichere Stimme mit der Darstellungskraft einer Tragödin. Die Vibratos hier und da können getrost weggehört werden. Dieser großartige Abend in Frankfurt zeigt, warum wir in die Oper gehen: Weil wir Menschen leiden sehen. Und weil wir mitleiden. Das Publikum ist außer sich.
