Bühne

Osterfestspiele in Baden-Baden – Triumph für Kirill Petrenko mit „Frau ohne Schatten“

Stand
AUTOR/IN
Bernd Künzig
ONLINEFASSUNG
Sebastian Kiefl

Das Festspielhaus in Baden-Baden wird in diesem Jahr 25 Jahre alt und auch die Osterfestspiele mit den Berliner Philharmonikern feiern das Jubiläum mit einem Spitzenwerk der Operngeschichte. Richard Strauss‘ symbolistische Märchenoper „Die Frau ohne Schatten“ ist eine Herausforderung, der sich in Baden-Baden die Regisseurin Lydia Steier und der Dirigent Kirill Petrenko gestellt haben.

Audio herunterladen (3,8 MB | MP3)

Träumerische Oper

Am Festspielhaus ist dem Kaiserpaar eine lange Treppe als „Stairway to Paradise“ für ihre tänzelnden Auftritten vorbehalten, denn sie sind die Stars einer Bühnenshow. Das Bild wie aus einem Tanzfilm ist Teil des fiebrigen Traums eines Mädchens nach dem Nachtgebet in einem von Nonnen geleiteten Waisenhaus.

Diese Rahmenerzählung hat die Regisseurin Lydia Steier der überbordenden Märchenfantasie von Richard Strauss‘ und Hugo von Hofmannsthals „Frau ohne Schatten“ bei den Osterfestspielen in Baden-Baden hinzugefügt. Die Vorzeichen des symbolistischen Kunstmärchens werden umgekehrt: Es geht nicht mehr darum, wie die Kaiserin als Elementarwesen zum Schatten gelangt, dem Symbol der Mutterschaft, sondern wie sich das einsame Kind seine Eltern herbeifantasiert.

Ein Mädchen schaut in der Mitte überrascht, wie von rechts ein Mann im Anzug sich mit einem Gehstock auf eine Frau mit Geweih stürzt. (Foto: Pressestelle, Martin Sigmund)
Ein Mädchen des Internats (Vivien Hartert, Mitte) hat einen lebhaften Traum. Es erscheint der Kaiser (Clay Hilley, rechts), der die ursprüngliche Gestalt der Kaiserin jagt: eine weiße Gazelle (Emmanuelle Rizzo).

Barbie lässt grüßen: Pinke Puppenfabrik

In diesem Alptraum ist die Amme ein weiblicher Mephisto im Nonnengewand. Mit der ihr anvertrauten Kaiserin ist sie ins niedere Reich der Menschen gestiegen. Dort will sie der Färberin mit diabolischen Ritualen den Mutterwunsch austreiben, um ihn auf die ihr Schutzbefohlene zu übertragen. Nur so kann der Kaiser von der in der showhaften Geisterwelt drohenden Versteinerung bewahrt werden.

Der Show- und Klosterwelt im sich wie von Geisterhand wandelnden Bühnenbild von Paul Zoller steht die Welt des Färbers Barak und seiner Frau als pinkfarbene Puppenfabrik gegenüber. Künstliche Ersatzbabys werden zur Erfüllung nicht eintretenden biologischen Elternglücks verkauft. Das sich anbahnende Ehedrama der verweigerten Mutterschaft mündet in die Katstrophe und am Ende des zweiten Akts fällt die Welt endgültig mit den sich drehenden Bühnentürmen auseinander.

Ein rosaroter Raum mit Puppenregalen links und rechts. (Foto: Pressestelle, Martin Sigmund)
Puppenhaus wie bei Barbie: Bei den Färbern geht es farbenfroh zu. Das Bühnenbild wurde von Paul Zoller gestaltet.

Inszenierung mit Überdruss

Was zu Beginn stringent erzählt ist, verfranst sich zunehmend im Dickicht der von Hofmannsthal in seinem Libretto aufgestellten Mysterien, Rätsel und Prüfungen. Irgendwann stellt sich ein Überdruss ein an all den katholischen Bildern von Mutterfantasien, an den überdimensionalen Marien mit entblößten Brüsten und vorbeiziehenden Pietà-Darstellungen als Tableaux vivants.

Der Kaiser im Anzug mit Zirkusdamen um sich herum. (Foto: Pressestelle, Martin Sigmund)
Der Kaiser (Clay Hilley) am Ende seiner Arie im ersten Akt. Musikalische Klangmagie dank der Berliner Philharmoniker unter Kirill Petrenko. Bild in Detailansicht öffnen
Die Drei Brüder des Färbers sitzen mit rosanen Schüsseln in der Hand, der Fäber steht rechts daneben. (Foto: Pressestelle, Martin Sigmund)
Die drei Brüder (Johannes Weisser, Peter Hoare und Nathan Berg) lauschen ihrem Bruder, Barak dem Färber (Wolfgang Koch). Katharina Schlipf ist Kostümbildnerin bei dieser Inszenierung. Bild in Detailansicht öffnen
Die Färberin greift ihrem Mann Barak in den Schritt, er verzehrt schmerzvoll das Gesicht. (Foto: Pressestelle, Martin Sigmund)
Die Färberin (Miina-Liisa Värelä) hat ihren Mann Barak (Wolfgang Koch) fest im Griff. Värelä ist mit ihrer weiblichen Stimmmacht und lyrischen Tönen das Ereignis des Abends. Bild in Detailansicht öffnen
Die Amme in Nonnengewand hat Stift und Papier in der Hand, drumherum stehen Erwachsene mit Neugeborenen in den Armen. (Foto: Pressestelle, Martin Sigmund)
Die Amme (Michaela Schuster) führt Buch, während die Eltern ihre Kinder im Waisenhaus erlangen. Bild in Detailansicht öffnen
Die Kaiserin auf der Treppe, dahinter liegt ein Mensch mit Gazellengeweih, rechts die Dienerinnen der Kaiser und links ein Mädchen am Boden. (Foto: Pressestelle, Martin Sigmund)
Die Kaiserin (Elza van den Heever) auf der Treppe vor ihrer ursprünglichen Form: einer weißen Gazelle. Bild in Detailansicht öffnen

Wendungen bis zur Ratlosigkeit

Wenn die Kaiserin im Finale allein mit ihrem gewonnenen Schatten tanzt, ist das wiederum einfach toll inszeniert, der Schluss mit dem in Grabhügeln verzweifelt wühlenden Mädchen dialektisch richtig. Denn diese musikalische Jubelfeier der Mutterschaft ging nach dem millionenfachen Sterben des ersten Weltkriegs erstmals über die Bühne.

Die Inszenierung ereilt dennoch das gleiche Schicksal wie die Oper: Es sind der intelligenten Wendungen einige zuviel. Es ist ein Staunen machender Surrealismus, der einen am Ende dennoch ratlos zurücklässt.

Die Kaiserin wirft einen großen Schatten in den Nebel. Der Kaiser fährt aus dem Boden hervor. (Foto: Pressestelle, Monika Rittershaus)
Happy End in der Oper: Die Kaiserin erlangt ihren Schatten und der Kaiser ist wieder aus Fleisch und nicht Stein.

Gewinner der Abends: Petrenko und Värelä

Die von Strauss allen Protagonisten aufgebürdeten vokalen Extreme werden weitestgehend zufriedenstellend gelöst. Clay Hilley meistert als Kaiser die Höhen, Wolfgang Koch ist ein solider Barak. Die Kaiserin der Elza van den Heever neigt ab und an zu forciert schrillen Spitzentönen, Michaela Schuster ist diabolisch gut als Amme. Miina-Liisa Värelä als Färberin ist mit weiblicher Stimmmacht und lyrischen Tönen das Ereignis des Abends.

Strauss‘ sinfonisch ausladende Partitur ist für die Berliner Philharmoniker und ihren Chefdirigenten Kirill Petrenko ein Leckerbissen. Die komplexe Dichte ist fabelhaft transparent.

Nie werden die Stimmen zugedeckt, alles ist perfekt koordiniert und wirkt als Klangmagie in dieser Zauberoper. Bei einem Totaltheater wie der „Frau ohne Schatten“ müssen nicht alle gewinnen. Kirill Petrenko und sein Orchester aber triumphieren mit diesem Abend.

Musikgspräch Nicht der erste Strauss: Regisseurin Lydia Steier zur Osterfestspiel-Oper „Die Frau ohne Schatten“ in Baden-Baden

Nach der Zauberflöte und dem Rosenkavalier steht nun die „Frau ohne Schatten“ auf der Agenda von Regisseurin Lydia Steier. Am Wochenende ist die Premiere am Festspielhaus in Baden-Baden mit Richard Strauss‘ Oper bei den Osterfestspielen mit den Berliner Philharmonikern. Über ihre Inszenierung, die Faszination dieser Oper und Ähnlichkeiten zu anderen ihrer Inszenierungen spricht sie gegenüber SWR2.

SWR2 Treffpunkt Klassik SWR2

Forum Festspieltheater! Wie exklusiv muss Klassik sein?

Bernd Künzig diskutiert mit
Elisabeth Sobotka, Intendantin der Bregenzer Festspiele
Benedikt Stampa, Intendant des Festspielhauses Baden-Baden
Jürgen Otten, Chefredakteur der Zeitschrift Opernwelt

SWR2 Forum SWR2

Stand
AUTOR/IN
Bernd Künzig
ONLINEFASSUNG
Sebastian Kiefl