Das Festspielhaus in Baden-Baden wird in diesem Jahr 25 Jahre alt und auch die Osterfestspiele mit den Berliner Philharmonikern feiern das Jubiläum mit einem Spitzenwerk der Operngeschichte. Richard Strauss‘ symbolistische Märchenoper „Die Frau ohne Schatten“ ist eine Herausforderung, der sich in Baden-Baden die Regisseurin Lydia Steier und der Dirigent Kirill Petrenko gestellt haben.
Träumerische Oper
Am Festspielhaus ist dem Kaiserpaar eine lange Treppe als „Stairway to Paradise“ für ihre tänzelnden Auftritten vorbehalten, denn sie sind die Stars einer Bühnenshow. Das Bild wie aus einem Tanzfilm ist Teil des fiebrigen Traums eines Mädchens nach dem Nachtgebet in einem von Nonnen geleiteten Waisenhaus.
Diese Rahmenerzählung hat die Regisseurin Lydia Steier der überbordenden Märchenfantasie von Richard Strauss‘ und Hugo von Hofmannsthals „Frau ohne Schatten“ bei den Osterfestspielen in Baden-Baden hinzugefügt. Die Vorzeichen des symbolistischen Kunstmärchens werden umgekehrt: Es geht nicht mehr darum, wie die Kaiserin als Elementarwesen zum Schatten gelangt, dem Symbol der Mutterschaft, sondern wie sich das einsame Kind seine Eltern herbeifantasiert.
Barbie lässt grüßen: Pinke Puppenfabrik
In diesem Alptraum ist die Amme ein weiblicher Mephisto im Nonnengewand. Mit der ihr anvertrauten Kaiserin ist sie ins niedere Reich der Menschen gestiegen. Dort will sie der Färberin mit diabolischen Ritualen den Mutterwunsch austreiben, um ihn auf die ihr Schutzbefohlene zu übertragen. Nur so kann der Kaiser von der in der showhaften Geisterwelt drohenden Versteinerung bewahrt werden.
Der Show- und Klosterwelt im sich wie von Geisterhand wandelnden Bühnenbild von Paul Zoller steht die Welt des Färbers Barak und seiner Frau als pinkfarbene Puppenfabrik gegenüber. Künstliche Ersatzbabys werden zur Erfüllung nicht eintretenden biologischen Elternglücks verkauft. Das sich anbahnende Ehedrama der verweigerten Mutterschaft mündet in die Katstrophe und am Ende des zweiten Akts fällt die Welt endgültig mit den sich drehenden Bühnentürmen auseinander.
Inszenierung mit Überdruss
Was zu Beginn stringent erzählt ist, verfranst sich zunehmend im Dickicht der von Hofmannsthal in seinem Libretto aufgestellten Mysterien, Rätsel und Prüfungen. Irgendwann stellt sich ein Überdruss ein an all den katholischen Bildern von Mutterfantasien, an den überdimensionalen Marien mit entblößten Brüsten und vorbeiziehenden Pietà-Darstellungen als Tableaux vivants.
Wendungen bis zur Ratlosigkeit
Wenn die Kaiserin im Finale allein mit ihrem gewonnenen Schatten tanzt, ist das wiederum einfach toll inszeniert, der Schluss mit dem in Grabhügeln verzweifelt wühlenden Mädchen dialektisch richtig. Denn diese musikalische Jubelfeier der Mutterschaft ging nach dem millionenfachen Sterben des ersten Weltkriegs erstmals über die Bühne.
Die Inszenierung ereilt dennoch das gleiche Schicksal wie die Oper: Es sind der intelligenten Wendungen einige zuviel. Es ist ein Staunen machender Surrealismus, der einen am Ende dennoch ratlos zurücklässt.
Gewinner der Abends: Petrenko und Värelä
Die von Strauss allen Protagonisten aufgebürdeten vokalen Extreme werden weitestgehend zufriedenstellend gelöst. Clay Hilley meistert als Kaiser die Höhen, Wolfgang Koch ist ein solider Barak. Die Kaiserin der Elza van den Heever neigt ab und an zu forciert schrillen Spitzentönen, Michaela Schuster ist diabolisch gut als Amme. Miina-Liisa Värelä als Färberin ist mit weiblicher Stimmmacht und lyrischen Tönen das Ereignis des Abends.
Strauss‘ sinfonisch ausladende Partitur ist für die Berliner Philharmoniker und ihren Chefdirigenten Kirill Petrenko ein Leckerbissen. Die komplexe Dichte ist fabelhaft transparent.
Nie werden die Stimmen zugedeckt, alles ist perfekt koordiniert und wirkt als Klangmagie in dieser Zauberoper. Bei einem Totaltheater wie der „Frau ohne Schatten“ müssen nicht alle gewinnen. Kirill Petrenko und sein Orchester aber triumphieren mit diesem Abend.
Musikgspräch Nicht der erste Strauss: Regisseurin Lydia Steier zur Osterfestspiel-Oper „Die Frau ohne Schatten“ in Baden-Baden
Nach der Zauberflöte und dem Rosenkavalier steht nun die „Frau ohne Schatten“ auf der Agenda von Regisseurin Lydia Steier. Am Wochenende ist die Premiere am Festspielhaus in Baden-Baden mit Richard Strauss‘ Oper bei den Osterfestspielen mit den Berliner Philharmonikern. Über ihre Inszenierung, die Faszination dieser Oper und Ähnlichkeiten zu anderen ihrer Inszenierungen spricht sie gegenüber SWR2.