Bei der Verleihung der Kleinkunst-Auszeichnung „Stuttgarter Besen“ zeigt sich, dass das traditionelle politische Kabarett auf dem Rückzug ist. Gewonnen haben Künstler und Künstlerinnen, die Alltagsthemen verarbeiten und so auch ein jüngeres Publikum für sich gewinnen. Schauspielerisches Handwerk oder eine Gesangsausbildung scheinen die Chancen auf dem Markt zu erhöhen.
Schauspielerisches Handwerk hilft
Für ihren starken Auftritt, in dem sie vegane Ernährung satirisch durch den Kakao zog, hat Eva Eiselt den Hauptpreis „Goldener Besen“ im Renitenztheater Stuttgart verliehen bekommen. Eine großartige Schauspielerin und Satirikerin sei die in Bad Münstereifel lebende Preisträgerin, meint der Intendant des Renitenztheaters Sebastian Weingarten: „Wie sie die Texte auf der Bühne umgesetzt hat, das hat das Publikum und die Jury sehr beeindruckt“, sagt Weingarten in SWR2.

Weingarten ist selbst Jurymitglied und erläutert: „Sie hat eine ganz eigenwillige Art, wie sie Themen umsetzt – bitter böse – das trifft ins Mark.“ Eisert verarbeite nicht das aktuell Tagespolitische, sondern konzentriere sich auf gesellschaftliche Themen. Dass sie Bühnenerfahrung als Schauspielerin hat, findet Weingarten hilfreich: „Bei ihr ist das immer sehr fundiert und geführt – und das unterscheidet sie auch von anderen.“
Sympathisch das Handicap ironisieren
Großes Lob heimste auch der junge Comedian Tony Bauer ein, dem die Experten um Matthias Richling den zweiten Preis zuerkannten. Bauer thematisierte auf der Bühne sein Handicap, ein „Kurzdarmsyndrom“. „Das haben wir auch bei jungen Comedians, dass sie ihre körperliche Behinderung thematisieren“, analysiert Weingarten den Auftritt des gebürtigen Duisburgers. „Er kommt sehr sympathisch daher, vordergründig locker. Aber es ist doch sehr tiefgründig“, so Weingarten weiter.

„Insgesamt waren alle Preisträger sehr eng beieinander“, verrät Weingarten über das Niveau des Abends im Renitenztheater. Hervorzuheben war aus seiner Sicht noch die dritte Preisträgerin Fee Brembeck.
Sie präsentierte eine Mischung aus Kabarett und Gesang – denn Brembeck ist auch ausgebildete Opern-Sopranistin. Sehr lustig findet Weingarten diese Kombination: „Sie erzählt wie eine Comedienne ihre Geschichten und plötzlich geht sie in die Opernstimme über.“
Stand-Up hat sich durchgesetzt
Die 26. Ausgabe des „Stuttgarter Besen“ bestätigt aus Weingartens Perspektive, dass sich in der Kleinkunstszene ein Wandel vollzogen hat: „Es hat sich immer weiter verstärkt in Richtung Stand-Up-Comedy.“
Jüngere Künstler erzählten, satirisch verarbeitet, Geschichten aus ihrem Alltagsleben. Das ziehe deren Generation mehr an. „Politisches Kabarett ist doch meistens etwas älteres Publikum“, diagnostiziert Weingarten.
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