Eine Oper wie ein gewaltiger Einschlag: das ist Richard Strauss' expressiver Einakter „Elektra“. Das Opernhaus Frankfurt hat sich nun diesen Opernkraftakt in einer Neuproduktion mit dem Regisseur Claus Guth und dem Frankfurter Generalmusikdirektor Sebastian Weigle vorgenommen.
Psychologisch ausgefeilte One-Woman-Show
„Hilf uns aus diesem Haus, hilf uns ins Freie“ singt Chrysothemis zu ihrer Schwester Elektra. Doch an der Frankfurter Oper gibt es in Richard Strauss' Einakter „Elektra“ kein Außen mehr.
Der antike Königspalast ist einem geschlossenen Korridor mit violetter Wandbespannung gewichen. Einige Türen mit Notausgangbeleuchtung, die aber nirgendwo hinführen. Dahinter wartet nur ein weiterer Faltenvorhang im gleichen Farbton.
Katrin Lea Tag hat diesen klaustrophobischen Gang für Claus Guths Inszenierung gestaltet. Er ist so warm, wie unheimlich und übt einen düsteren Sog wie in einem Film von David Lynch aus.
Den Titel der Oper und ihre Hauptfigur nimmt der Regisseur in der Tat todernst. Er inszeniert eine psychologisch ausgefeilte One-Woman-Show für die grandiose, makellose Stimme von Aile Asszonyi in der Titelpartie.
Eine zutiefst traumatisierte Frau
In diesem seltsamen Bühnenraum taucht vielgestaltiges Personal auf, angefangen von den putzenden Mägden der Eingangsszene, Dienstpersonal, über seltsame Insassen einer therapeutischen Einrichtung bis zu Dunkelmännern mit Kapuzen.
Alle diese Figuren entspringen entweder dem seelischen Innenleben der Elektra oder werden in die ihres Psychodramas umgebogen. Sie ist eine zutiefst durch den Mord an ihrem Vater Agamemnon traumatisierte Frau, die die Bluttat in subtiler Verstellung ihrer Mutter geradezu sirrend und gurrend einmassiert.
In zunehmendem Maß versinkt Elektra im Alptraum ihrer Seelenqualen. Selbst der Raum beginnt sich aufzulösen und zu zerfallen. Die Wände werden auseinandergezogen, die Vorhänge schichten sich zu einem Labyrinth.
Meisterhafte Lichtgestaltung
Auf dem Höhepunkt will sie in den fünf auftretenden düsteren Kapuzenmännern ihren den Vatermord rächenden Bruder Orest erkennen. Dabei verfängt sie sich mit ihrem Monolog der Wiedererkennungsszene allein in den herabhängenden Fäden des Vorhanggespinsts.
Die meisterhafte Lichtgestaltung von Olaf Winter zieht uns hypnotisch in diese Innensicht der Elektra. Wir sehen mit ihren Augen, wir hören mit ihren Ohren. Wenn am Ende die Insassen dieser Anstalt zur Musik über die Bühne walzern, dann gerät diese Partygesellschaft zu Elektras ekstatischem Schlusstanz, mit dem sie die Ermordung ihrer Mutter Klytämnestra und ihres Liebhaberkomplizen Aegisth rauschhaft feiert.
Hochmusikalische Inszenierung
Der Wirklichkeit ist sie endgültig verrückt und bricht schließlich tot zum Entsetzen ihrer Schwester Chrysothemis zusammen. Dem Wahnsinn ist hier nicht zu entkommen.
Claus Guths psychologisch brillante und hochmusikalische Inszenierung findet in Frankfurt ein kongeniales Ensemble. Jennifer Holloway ist als Elektras Schwester Chrysothemis ein vokal perfektes Spiegelbild.
Die Klytämnestra der Susan Bullock ist endlich einmal nicht die keifende Hysterie, sondern selbst eine zerbrechende Figur zwischen echtem Leiden und gefährlichem Selbstschutz. Die Dialogszene mit ihrer Tochter ein veritabler Psychokrimi.
Großer Jubel für das Orchester
Simon Bailey singt einen noblen Orest als Elektras somnambuler Rächerbruder. Alle übrigen Ensemblemitglieder in den kleineren Rollen ohne Fehl und Tadel, die Mägde ungemein stimmschön homogen.
Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester spielt fabelhaft. Sebastian Weigle dirigiert Strauss herb getönte Partitur für ein Riesenorchester mit subtiler Beleuchtung der instrumentatorischen Raffinessen und dem dramatischen Verlauf genau angepassten auf- und abschwellenden Tempoverläufen.
Das zum Schlussapplaus auf der Bühne sich einfindende Orchester wird zu Recht bejubelt. Diese Frankfurter Elektra ist im wahrsten Sinne des Wortes wahnsinnig gut.