Noch immer gehört „Don Carlos“ auf deutschen Bühnen zu den meistgespielten Dramen Friedrich Schillers. Allein schon wegen seines mitreißenden Pathos, aber auch wegen seiner tatsächlichen Interpretationsmöglichkeiten zwischen Ideendrama und großem Beziehungsstück. Am Schauspiel Stuttgart setzt sich Regisseur David Bösch mit dem Klassiker auseinander.
Vater und Sohn streiten um dieselbe Frau
Don Carlos, ganz in Schwarz im durchsichtigen Hemd mit einem schwarzen Federkranz um die Schultern. Schwärmerisch, naiv stakst er über die Bühne und verzehrt sich in unerfüllter Liebe zu seiner ehemaligen Braut Elisabeth, die inzwischen seine Stiefmutter ist. Wenn er sich ihr nähert, zuckt er mit den Schultern und lässt die Federn wie ein balzender Paradiesvogel hüpfen. Sein Vater König Philipp hält ihn klein und traut Don Carlos wenig zu. Und beide begehren dieselbe Frau:
„Warum von tausend Vätern, diesen Vater mir. Und eben ihm just diesen Sohn – von tausend besseren Söhnen. Zwei unverträglichere Menschen, die sich ewig meiden, in einem Wunsche schrecklich sich begegnen, beweinenswerter Philipp, wie dein Sohn beweinenswert.“

Eine psychologische Studie von Regisseur David Bösch
Auf einer schwarzen, leeren Bühne mit ein paar Neonlichtern, umgekippten Stühlen und einem Tisch inszeniert Regisseur David Bösch das Stück als psychologische Studie der Charaktere, die in ihren Gefühlen gefangen sind.
König Philipp im Glitzeranzug wirkt wenig tyrannisch, eher ermattet und müde, vor allem angetrieben durch die katholische Inquisition. Don Carlos interessiert sich vor allem für seine unerfüllte Liebe zur Königin und weniger für die große Politik, obwohl ihn die aufbegehrenden flandrischen Provinzen gern als ihren Anführer gegen den eigenen Vater sehen würden. Auch sein Freund Marquis Posa versucht ihn dazu zu überreden. Mutig tritt dieser dem König gegenüber. Posa fordert politische Veränderungen:
„Alle Könige Europens huldigen dem spanischen Namen, gehen sie Europens Königen voran. Ein Federzug von dieser Hand und neu erschaffen wird die Erde. Geben sie Gedankenfreiheit.“

Der Generationenkonflikt blitzt immer wieder auf
Vor diesem Hintergrund zeigt die Inszenierung aber vor allem intrigante Machtkämpfe aus Kränkung, verschmähter Liebe und verletzter persönlicher Eitelkeit. Genau deshalb verschwören sich auch die Hofschranzen gegen Don Carlos und Elisabeth.
Für Felix Strobel als Don Carlos hätte man sich aber gelegentlich ein bisschen mehr schillersches Pathos gewünscht. Die wirklich starken emotionalen tiefergehenden Szenen gehören dem Marquis Posa, gekonnt ausgelotet von David Müller.
Ebenso wie Frida-Lovisa Hamann, die als taffe Frau ihre großen Momente hat. Das zeigt auch ihr Kommentar, als Posa alle politischen Ambitionen fahren lässt und ankündigt, sein Leben für den Freund Don Carlos zu opfern, der der Verschwörung mit Flandern bezichtigt wird:
„Sie stürzten sich in diese Tat, die Sie erhaben nennen. Leugnen Sie nur nicht, ich kenne Sie. Sie haben längst danach gedürstet. Mögen tausend Herzen brechen, was kümmert Sie es, wenn sich Ihr Stolz nur weidet. Jetzt lern ich Sie verstehen. Sie haben nur um Bewunderung gebuhlt.“

Auch weil die Selbstbezogenheit der Jungen im Stück dominiert, scheitert der Traum von einer freiheitlicheren Zukunft. Am Ende werden Don Carlos und seine angebetete Elisabeth bei einem letzten Tanz erschossen.
Einen drastischeren Schluss als Schiller selbst gibt Bösch damit seinem Don Carlos, den er ansonsten ziemlich wortgetreu inszeniert und mit einem insgesamt sehr starken, spielfreudigen Ensemble zu einem sehenswerten Abend macht.
„Don Carlos“ als Hörspiel
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