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Das Spiel ist aus: Schauspielhaus Zürich beendet Vertrag mit Intendanten-Duo

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Janis El-Bira

Lange wurde spekuliert, letzte Woche wagte sich schon eine Zeitung vor und jetzt ist es offiziell: Nicolas Stemann und Benjamin von Blomberg werden ihre Co-Intendanz am Schauspielhaus Zürich nicht über die Spielzeit 2023/24 hinaus verlängern. Damit endet vorerst eine monatelange, hitzige Debatte über die Richtung, die das wichtigste Schweizer Theater unter den seit 2019 amtierenden deutschen Theaterleitern eingeschlagen hatte.

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Es ging dabei um so ziemlich alles: Wirtschaftliches, Künstlerisches und die Frage, wer eigentlich das Publikum eines Stadttheaters sein sollte. Fest steht: Der Regisseur Stemann und der Dramaturg von Blomberg haben vom Start weg viel gewagt und das Zürcher Schauspielhaus verändert. Dass der Weg nun kommendes Jahr endet, hat seine Gründe – schade ist es aber trotzdem.

Verwaltungsrat sieht keine gemeinsame Ausrichtung

Das Ende klingt – ganz in Schweizer Tradition – überaus diplomatisch: Man habe sich „trotz großem Bemühen“ nicht auf eine „gemeinsame betriebswirtschaftlich strategische Ausrichtung des Schauspielhauses“ verständigen können. So benennt jedenfalls Markus Bachofen, Präsident des Verwaltungsrates, in der heute verschickten Pressemitteilung den Grund für die Nicht-Verlängerung des Zürcher Intendanten-Duos Nicolas Stemann und Benjamin von Blomberg. Allseitiges Bedauern und großen Dank gibt’s obendrauf, das verlangt der gute Ton.

Intendanten-Duo zeigt sich überrascht

Im Statement der nun scheidenden Intendanten auf der Schauspielhaus-Website liest sich das dann doch noch ein bisschen anders. Ob der „Entwicklungen der letzten Wochen“ sei man überrascht und betont, dass man gerne weitergemacht hätte, und eben keineswegs frustriert das Handtuch werfe, weil die Stadt Zürich einer Erhöhung der Finanzmittel für das Schauspielhaus eine Absage erteilte. Damit widersprechen von Blomberg und Stemann einem Medienbericht aus der letzten Woche und erklären: Wenn es allein nach ihnen gegangen wäre, dann hätte ihre Arbeit in Zürich eine Zukunft gehabt, auch über das Jahr 2024 hinaus.  

Das Schauspielhaus hat ein Problem mit der Auslastung

Aber dass dieser Ausgang sie „überrascht“ habe, das erstaunt dann doch. Seit Monaten war das berühmteste Theater der Schweiz Zentrum einer Kampagne, in der sich die Kritiker vom NZZ-Feuilleton bis zur stramm rechten Weltwoche gegenseitig in ihrer Auffassung bestärkten, dass das Schauspielhaus unter dieser Intendanz dem Untergang geweiht sei. Stemann und von Blomberg bespielten ein „House of Wokeness“, Schauspieler würden kaum noch benötigt, Klassiker nicht mehr gespielt und überhaupt sei alles viel zu teuer und das Haus gleichzeitig viel zu leer. Ja, Zürich hatte – wie die meisten Theater nach Corona – ein Problem mit der Auslastung, unübersehbar, auch für die Intendanten.

Jüngeres Publikum erreicht, älteres verloren

Aber künstlerisch war und ist diese Intendanz eine der aufregenderen, in jedem Fall ambitioniertesten der jüngeren Vergangenheit. Den expliziten Auftrag der Stadt, ein jüngeres und diverseres Publikum zu erreichen, haben Stemann und von Blomberg jedenfalls umgesetzt – wenn auch nicht ohne Verluste, gerade beim älteren Stammpublikum. Diesen Vorwurf müssen sie sich schon gefallen lassen. Wahrscheinlich hätten die beiden früher bemerken können, dass eine klassischere, dem Literaturtheater näherstehende Regieposition der Breite des Angebots gutgetan hätte. Vielleicht haben sie auch unterschätzt, was es bedeutet, dass Zürich eben kein zweites oder gar drittes vergleichbar großes Theater mit anderem Profil hat, wie Berlin, Hamburg oder München.

Konflikte der „Stadtgesellschaft“ zeigen sich wie unter dem Brennglas

Und so wurden anhand des Schauspielhauses wie unter dem Brennglas auch zentrale Gegenwartskonflikte ausgetragen – darüber, wer mit „Stadtgesellschaft“ eigentlich gemeint ist, wer repräsentiert wird, wer teilhaben kann. Das ist natürlich zu viel zu schultern für ein einzelnes Theater. Aber eine Intendanz, die sich mit ihrer Arbeit genau in diese Gefahrenzone gewagt hat, die hat ganz bestimmt nicht alles falsch gemacht.

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