Georg Fredrich Händels „Hercules“ wird zu den späten Oratorien des Komponisten gezählt, wenngleich es im Untertitel als „Musical Drama“ bezeichnet wird. In der Tat verfügt das Ehe- und Eifersuchtsstück über erhebliche theatralische Qualitäten, die an der Oper Frankfurt für einen Regisseur wie Barrie Kosky, bei dem die Körperlichkeit der Stimme im Zentrum steht, eine Steilvorlage sind.
Rückkehr mit problematischem Gepäck
Die Ehe mit einem Superhelden ist ungesund. Dejanira wartet unter dem Schleier der Trauer auf die Rückkehr des Hercules. Neben ihr auf dem Sofa der Intimität ist das sinnierende Marmorabbild des Übermanns platziert, für Sohn Hyllus und die Tochter ist da kein Platz. Aus dem von einer Frau gesungenen Boten Lichas hat Regisseur Barrie Kosky in Georg Friedrich Händels „Hercules“ an der Oper Frankfurt den weiblichen Nachwuchs gemacht und so kann sich das Familiendrama entspannen.

Der von seinem Feldzug siegreich zurückkehrende Hercules bringt den weiblichen Feind ins Haus, Iole, die Tochter des unterworfenen und getöteten Gegners. Obwohl sich Sohn Hyllus sofort in das Mädchen aus Mitleid verliebt, kriecht in der Mutter und Ehefrau die Eifersucht hoch.
Sensationelle Dejanira
Paula Murrihy als Dejanira ist sensationell. Ihre kraftvollen Koloraturen sind Ausdruck ihrer psychischen Instabilität zwischen Depression, Exaltiertheit, hysterischer Eifersucht und Liebesfeldzug. Sie hat tausend entsprechende Gesichter und gibt sich einer Tour de Force wechselnder Gefühlslagen hin.
Wenn Elena Villalón als gänzlich bezaubernde Iole ihr auf dem Sofa auch körperlich nahe rückt, dann kribbelt es sichtlich in jeder Körperpore Dejaniras vor Unbehagen.
Stimme des Volkes und Kommentar zugleich
Der fabelhafte, geradeaus singende Chor der Oper Frankfurt tritt als perfekt durchchoreografierter Bewegungschor des Volks auf oder als chorischer Kommentar einer antiken Tragödie.
Wenn er zum Schluss zu der einsam im beige-nüchternen, hell ausgeleuchteten Bühnenraum von Katrin Lea Tag verharrenden Dejanira aus dem Zuschauerraum hinaufsingt, wird er zum Spiegel des Publikums, das einem psycho-erotischen Abgrund beiwohnt.
Meisterliche Inszenierung
Mit Sohn Hyllus, den Michael Porter als lyrisch jugendlichen, rotpausbäckigen, am Vateridol scheiternden Teenager gibt, kann Dejanira ebenso wenig etwas anfangen wie mit der ihr selbst nacheifernden Tochter, von Kelsey Lauritano mit warm-herber Aura gesungen. Sie ersehnt, begehrt, begurrt und beschimpft allein den mit mächtiger Brust von Anthony Robin Schneider intonierten und mit breitem Tritt verkörperten Gattenhelden Hercules.
So entfaltet sich ein Ehepsychodrama, das an die großen filmischen Abgründe Ingmar Bergmans erinnert. Aber Barrie Kosky ist selbst ein Meisterregisseur. Dieser „Hercules“ ist weder Oratorium noch Oper, sondern Musiktheater, bei dem die Inszenierung zeigt, warum gesungen wird. Jeder Ton, jeder Klang, jede Da-capo-Arie haben ihren Sinn in den dramatischen Gesten.
Brennende Liebe
Als Dejanira auf kapriziöse Verführungskunst umschaltet, kommt sie auf die fatale Idee, die Liebe des Gatten durch ein mit magischem Blut getränktes Hemd zurückzuerobern. Das Gift erweist sich als brennend-tödliches Verhängnis. Dejanira versinkt im Irrsinn und reicht am Ende der im zweiten Teil auf der Keule ruhenden Marmorstatue ihres Mannes die Hand, der längst in den göttlichen Nebel durch seinen Göttervater Jupiter entrückt wurde.
Lediglich für die voll Mitgefühl auf den Familienzerfall reagierende Iole und den liebenden Sohn Hyllus hält das Orakel eine mögliche Zukunft jenseits des zerstörerischen Heroenidols bereit.
Gelungenes Musiktheater
Für dieses barocke und doch moderne Musiktheater hat sich das Frankfurter Opern- und Museumsorchester unter der präzisen Koordination von Laurence Cummings in ein intonationssicheres Händelensemble verwandelt. Es glänzt, brilliert, bebt und umarmt. Dieser zu Recht frenetisch bejubelte Abend ist großartiges, alle Sinne bewegendes Musiktheater.
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