Buergerbeteiligung beim ersten stadtoeffentlichen Buergerforum  (Foto: IMAGO, Bildnummer: 0018959206)

SWR1 Sonntagmorgen

Mehr Beteiligung für mehr Zufriedenheit 

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Zülal Acar

"Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“, so steht es im Grundgesetz. Doch viele Menschen haben das Gefühl, nicht mitbestimmen zu dürfen. Eine Lösung könnten Bürgerforen sein.  

G8/G9: Viel Unmut in Baden-Württemberg   

Es ist ein scheinbar ewig schwelender Streit im baden-württembergischen Landtag: Acht Jahre für das Turbo-Abi, oder besser neun reguläre Jahre - wie lange sollen Schüler das Gymnasium besuchen? Das sorgt bei vielen Menschen für Unmut. Sie sind unzufrieden, wollen Mitsprache und Veränderung. Eine Elterninitiative fordert mit einem Volksantrag die Rückkehr zu G9, also neun Jahre Gymnasium. Lange sah das Ministerpräsident Winfried Kretschmann kritisch. Nun soll es ein Bürgerforum geben, das sich zur G8/G9-Debatte berät. Das hat die baden-württembergische Landesregierung angekündigt. Ein erster Schritt.   

Bürgerforum: Entscheidungen treffen andere  

Dieses Bürgerforum soll aus 40 bis 60 zufällig ausgewählten Personen mit unterschiedlichen Schulabschlüssen bestehen. Sie sollen sich beraten und Empfehlungen abgeben. Entscheidungen treffen dann andere: das Parlament. Professor Dr. Michael Wehner von der Universität Freiburg schätzt das Bürgerforum als wichtiges Signal ein: "Demokratie ist ja das Gemeinwesen der Normalsterblichen, das davon ausgeht, dass möglichst alle an allen Entscheidungen zumindest theoretisch beteiligt werden. Insofern sind solche neuen Formen der Bürgerbeteiligung ein weiterer Versuch bereits im Vorfeld einer Entscheidung Menschen miteinzubeziehen."  

Bürgerbeteiligung: "Ermächtigung der einzelnen Bürgerinnen und Bürger" 

Die Demokratie, als Inklusionsversprechen an alle, solle den Menschen die Chance geben, mitreden und mitbestimmen zu dürfen, betont Wehner. Bürgerforen und - Räte könnten zwar Empfehlungen abgeben, doch seien diese nicht zwingend bindend, erklärt er. Bei den Beteiligten zähle aber auch das Gefühl, sich engagiert zu haben, sagt er. Sie fühlten sich gehört. "Insofern ist es eine Ermächtigung der einzelnen Bürgerinnen und Bürger", so der Wissenschaftler.   

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Hören die Entscheidenden dann auf die Empfehlungen der Bürgerinnen und Bürger? Professor Dr. Michael Wehner sagt: "Sie sind nicht gezwungen und daran gebunden." Dass am Ende Regierung und Parlament das letzte Wort haben, sei in einer repräsentativen Demokratie unumgänglich. "Sonst würden die institutionellen Kräfte ins Rutschen geraten", so Wehner. Kritisch werde es aber, wenn der Eindruck einer "partizipativen Alibi-Veranstaltung" bei den Bürgerinnen und Bürgern entsteht, räumt Wehner ein. Das könne für Frust bei den Personen im Bürgerforum sorgen.  Auch beim Thema gesellschaftliche Solidarität könnte Bürgerbeteiligung sinnvoll sein. Denn Kinderlose sollen beispielsweise zum Juli 2023 höhere Beiträge zur Pflegeversicherung zahlen. Diese Änderung in der Pflegereform soll Familien mit ein, zwei oder mehreren Kindern entlasten. "Es sind Themen, die Massenmobilisierung bewirken können. Auf Landesebene sind es Bildungspolitische Themen. Die Frage der Kinderlosigkeit ist eine Frage, die nur einen bestimmten Prozentsatz der Bevölkerung betrifft, aber dennoch andere eine Meinung dazu haben", schätzt Wehner.  

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Die Menschen in Stuttgart stimmen in einer Umfrage dieser Reform größtenteils zu. "Da tut mir schon die jüngere Generation leid. Wir konnten noch in vielem aus dem Vollen schöpfen", sagt eine Frau. Ein Mann berichtet von seiner Erfahrung im Zivildienst: „Ich wurde damit konfrontiert, wie schlecht das Pflegesystem ist, deswegen finde ich es gut.“ Eine andere Frau fügt noch hinzu: “Wir sind ein demokratischer Staat und dafür muss man etwas tun.“   

Auch wenn am Ende die Volksvertreter entscheiden: Es gibt zahlreiche Beispiele von erfolgreichen Projekten zur Bürgerbeteiligung. Etwa in kleiner Form in Bad Dürkheim. Die Stadt nutzte eine Online-Beteiligungsplattform, um sich nach den Weinvorlieben ihrer Bürgerinnen und Bürger zu erkundigen. So konnte die Stadt die Teilnehmenden in der Planung ihres Neujahrsempfanges miteinbeziehen. Nach der Sommerpause 2023 soll es losgehen mit dem Stuttgarter Bürgerforum zum Thema G8/G9. Die Teilnehmenden sollen mit Expertinnen und Experten sowie Verbänden und Betroffenen sprechen, bevor sie eine Empfehlung abgeben.   

Moderator Hans Michael Ehl (Foto: SWR)

Moderator am Sonntagmorgen Hans Michael Ehl

Moderator am Sonntagmorgen

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Zülal Acar