Darf man Kinder mit Federschmuck beim Fasching als Winnetou verkleiden? Kann ich mir ohne weiteres beim Friseur Dreadlocks machen lassen und Rastalocken zeigen? Oder verletze ich damit die Gefühle von Menschen und begehe sogar kulturellen Diebstahl? Es kommt immer wieder zu Debatten um "kulturelle Aneignung".
Verkleidung und Rollen hinterfragen
"Indianer spielen" oder sich zu Fasching als Winnetou oder Pocahontas zu verkleiden ist für viele Menschen selbstverständlich und viele reagieren mit Unverständnis, wenn People of Color (damit sind Menschen gemeint, die nicht weiß sind) darauf abweisend reagieren. Doch für viele Minderheiten kommt das Übernehmen kultureller Praktiken, zum Beispiel das Tragen von Dreadlocks oder Braids, also afrikanischen Flechtfrisuren, einem Diebstahl gleich. Sie unterscheiden zwischen kulturellem Austausch, der auf Augenhöhe stattfindet und kultureller Aneignung, bei der sich Menschen aus einer dominanten Kultur an einer "Minderheitskultur" bedienen und sie beispielsweise zu kommerziellen Zwecken nutzen.
Kleidungsstücke haben eine Bedeutung
Dabei sind zeremonielle Kleidungsstücke und Schmuck in den indigenen Kulturen Nordamerikas auf komplexe Art und Weise kodiert und Ausdruck der eigenen Persönlichkeit, sagt Kulturenwissenschaftlerin, Nina Reuther. Sie erklärt in ihren Seminaren die geschichtlichen Hintergründe, warum die indigenen Völker Nordamerikas diese Praxis des Verkleidens als respektlos und anmaßend empfinden.
"Zum Beispiel mit den Federn ist es so, dass die sehr große Symbolik haben, vor allem wenn es sich um Adlerfedern handelt. Das sind Gegenstände, die spirituelle Bedeutung haben, die innerhalb der Familien weitergegeben werden und die nicht einfach so gesammelt werden."
Wichtig für die Erinnerungskultur
Die Geschichte der Natives auf dem amerikanischen Kontinent ist mit viel Leid verbunden. Europäer hatten in der Geschichte viele Ureinwohner ausgebeutet und diskriminiert. In Kanada gab es bis in die 1990er Jahre Internate für indigene Kinder. Es ist also nicht so, dass das alles schon ewig zurückliegen würde. Erst vor kurzem hat sich die kanadische Regierung mit indigenen Völkern auf Entschädigungszahlungen in Milliardenhöhe geeignigt. Damit will sie für den Schaden, Verlust von Sprache und Kultur der Indigenen, aufkommen. Die indigene Bevölkerung fordert einen Dialog auf Augenhöhe und Respekt.
Papst Franziskus bittet um Vergebung
Nach jahrelangen Forderungen von Ureinwohnern und Politik hatte Papst Franziskus während seiner Kanadareise im vergangenen Jahr mehrmals um Vergebung für die Rolle der Kirche in dem System der "Residential Schools" gebeten. Die meisten Internate wurden von der römisch-katholischen Kirche geleitet. Diese Schulen waren wesentlicher Teil kolonial-europäischer Anpassungspolitik.

Die Winnetou - Debatte
Im Sommer 2022 gab es eine zum Teil heftige Debatte über kulturelle Aneignung und Rassismus rund um Winnetou. Der Ravensburger Verlag hatte nach Protesten vor allem in den sozialen Medien entschieden, zwei Kinderbücher sowie ein Sticker-Buch und ein Puzzle aus dem Verkehr zu ziehen. Die Artikel sollten zum Kino-Film "Der junge Häuptling Winnetou" vertrieben werden. In der Diskussion ging es um das Werk von Karl May, den Kolonialismus und kulturelle Aneignung. Etliche Nutzer der Social-Media-Plattform bezichtigten den Verlag des Einknickens vor Kritik. Es gab auch Unterstützung für die Entscheidung des Verlags.

Aneignung oder Wertschätzung?
Im Rahmen dieser Debatte äußerte sich die deutsche Ethnologin Susanne Schröter. Für sie sei kulturelle Aneignung grundsätzlich eher etwas Positives. Menschen hätten stets Dinge von anderen übernommen, wenn sie diese für sinnvoll erachtet hätten. Die gesamte Menschheitsgeschichte sei eine Geschichte kultureller Aneignungen, ohne die es keine Entwicklung gegeben hätte, so die Professorin der Johann Wolfgang-Goethe-Universität. "Dazu kommt, dass Aneignung stets eine gewisse Wertschätzung beinhaltet. Wenn man eine Gruppe von Menschen zutiefst ablehnt, wird man von ihnen nichts übernehmen. In einer Welt, die allein durch die sich beschleunigende Globalisierung immer vielfältiger wird, ist kulturelle Aneignung wohl die wichtigste Kulturtechnik, die ein friedliches Zusammenwachsen möglich macht", so Schröter.
Sensibilität gefragt
Die kontroverse Debatte wird bleiben. In einem ist man sich aber in der Diskussion einig, dass man mit den Völkern und deren kulturellem Erbe respektvoll umgehen und immer wieder aktuelle Fälle neu diskutieren sollte.

Freude an den Kostümen?
Wenn man die Hintergründe der Natives kennt, kann man sich dann noch an den entsprechenden Kostümen freuen? Auch in der Karnevalshochburg Köln wird mit einer kritischen Haltung damit umgegangen. Jüngstes Beispiel: Ein Kneipenbesitzer wollte zunächst "Indianerkostüme" verbieten. Daraufhin hagelte es viel Kritik in den sozialen Medien: der Karneval stehe für Toleranz und Vielseitigkeit, hieß es seitens eines Kneipenbesuchers. Ein anderer Gast meinte, er würde sich seit fast 40 Jahren als "Indianer" verkleiden, und zwar aus "Stolz, Freude und Respekt für diese". Der Wirt schrieb dann in sozialen Medien: "Ihr könnt alle als Indianer:in verkleidet sein, wenn ihr Indianer:innen so cool findet wie wir. Wenn ihr deren Schicksal verstanden habt, das Kostüm simpler Support ist und Erinnerungskultur zugleich. Mega."