Recep Erdogan (Foto: picture-alliance / Reportdienste, AA | Murat Kula)

Einschätzungen von Erkan Arikan nach der Wahl

Deutsch-Türken wählten mehrheitlich Erdogan

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MODERATOR/IN
Michael Lueg
SWR1-Moderator Michael Lueg (Foto: SWR, SWR1 -)

Recep Tayyip Erdogan heißt der alte und neue Präsident der Türkei. Er setzte sich in der Stichwahl mit rund 52% der Stimmen gegen Herausforderer Kilicdaroglu durch.

Wie der Politiker seine Macht sicherte und wieso ihn eine Mehrheit der Deutsch-Türken wählte, analysiert Erkan Arikan, Leiter der Türkei-Redaktion der Deutschen Welle, im SWR1 Interview.

SWR1: Vor der Wahl waren sich viele sicher, dass der türkische Präsident Erdogan die Wahlen verlieren würde. Auch in der Türkei haben viele den Gegenkandidaten vorne gesehen. Was bedeutet das jetzt für die Stimmung nach der Wahl im Land?

Erkan Arikan: Es ist eine ganz schwierige Frage. Ehrlich gesagt ist die Stimmung der Oppositionsanhänger ziemlich am Boden. Das bedeutet, dass sie sämtliche Hoffnungen eigentlich in Kilicdaroglu gesetzt haben und hofften, dass nach über 20-jährigen Regentschaft von Erdogan jetzt ein neuer Wind wehen würde.

Natürlich sind viele enttäuscht. Viele hatten sich ein anderes Ergebnis erhofft. Aber alle haben schon einhellig gesagt, dass sie weitermachen wollen und dass der Demokratieprozess in der Türkei mit einer Wahlniederlage nicht beendet sein soll.

Wahl in der Türkei: Mehrheit der Deutsch-Türken wählt Erdogan

SWR1: In Deutschland waren 1,5 Millionen Türken wahlberechtigt. Und von denen, die zur Wahl gegangen sind, haben rund zwei Drittel Erdogan gewählt. Nach seinem Sieg gab es Autokorsos, feiernde Türken in vielen Städten. Warum kommt er bei den Wählern hier in Deutschland so gut an?

Arikan: Das liegt primär daran, dass sich viele, die hier in Deutschland leben und ihn gewählt haben, immer noch in der Gesellschaft abgehängt fühlen. Sie sehen in Erdogan einen starken Präsidenten, der für sie da ist, der für sie das verkörpert, was sie hier in Deutschland nicht bekommen, nämlich einen starken Präsidenten. Natürlich könnte man sagen, Frank-Walter Steinmeier ist auch ein starker Bundespräsident. Aber wie gesagt, es ist eigentlich ein Problem, leider Gottes, der Integration. Es ist ein Problem, das wir in den letzten fast zwei Dekaden lang gehabt haben: Die Menschen fühlen sich hier nicht abgeholt und sagen deswegen, dass sie in der Heimat eher islamisch-konservativ wählen und hier in Deutschland eher sozialliberal.

Türkei-Wahl: Düstere Zukunft für die Pressefreiheit

SWR1: Ihr Sender, die Deutsche Welle, wird in der Türkei blockiert. In der Rangliste der Pressefreiheit liegt die Türkei weltweit auf einem der letzten Plätze. Wie wird sich das in den kommenden Jahren unter Erdogan entwickeln?

Arikan: Jetzt haben Sie ganz schön viel Salz in meine Wunde gestreut. Ich befürchte, dass diese restriktive Haltung der türkischen Regierung und der Administration rund um Erdogan auch weiter so beibehalten wird. Wir haben jetzt schon mittlerweile eine 95-prozentige Gleichschaltung der sogenannten Mainstream-Medien, die eigentlich gar keine Mainstream-Medien, sondern nur noch Regierungsmedien sind. Es wird eine weitere Drangsalierung der unabhängigen Pressevertreter noch in der Türkei geben.

Es wird eine weitere Drangsalierung der unabhängigen Pressevertreter in der Türkei geben.

Und ich befürchte auch, dass wir in Zukunft wieder Verhaftungen von Journalistinnen und Journalisten erleben werden, die sich kritisch gegenüber der Regierung und gegenüber dem Präsidenten Erdogan äußern. So wie wir es vor einigen Wochen, kurz vor dem ersten Wahlgang im Osten Anatoliens gesehen haben, wo weit über 150 Journalistinnen und Journalisten wieder einmal verhaftet wurden. Das heißt, die Zukunft für die Pressefreiheit in der Türkei sieht meiner Meinung nach sehr düster aus.

Wahl in der Türkei: Erdogan dominiert Medien

SWR1: Die Menschenrechtsorganisation "Human Rights Watch" hatte kritisiert, dass es keinen fairen Wahlkampf geben konnte, weil Erdogan fast alle Medien mit großer Reichweite unter Kontrolle hat. Wie fair war diese Wahl jetzt Ihrer Einschätzung nach?

Arikan: Sie sprechen gerade ein Thema an, was auch in der Türkei sehr heiß diskutiert wird. Wenn man bedenkt, dass in einem Zeitraum von 35 Tagen, in dem eine Erhebung gemacht wurde, Erdogan beim staatlichen Nachrichtensender TRT-Haber ungefähr 48 Stunden Sendezeit bekommen hat und sein Gegenkandidat Kemal Kilicdaroglu nur 38 Minuten, dann ist das schon ein signifikanter Unterschied.

Erdogan hat ungefähr 48 Stunden Sendezeit bekommen, sein Gegenkandidat Kilicdaroglu nur 38 Minuten.

Erdogan hat das mediale komplett ausgenutzt, in der Türkei wird sehr viel linear Fernsehen gesehen. Und wir können sagen, dass Erdogan mit einem kompletten Formel 1-Team an den Start gegangen ist und hat Kilicdaroglu mit seiner Seifenkiste meilenweit hinter sich gelassen.

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Arikan: Erdogan braucht die EU nicht"

SWR1: Wie schätzen Sie denn die Situation ein, dass sich das irgendwann mal ändert? Kann sich die Türkei vielleicht wirklich der Europäischen Union und diesen Werten hier annähern?

Erkan Arikan: Ich glaube, Sie missverstehen eine Situation: Die Türkei oder auch Erdogan braucht die Europäische Union nicht. Es ist eher umgekehrt, die Europäische Union braucht die Türkei. Nicht nur wegen des Flüchtlingsabkommens, was vor vielen Jahren abgeschlossen wurde. Denn meiner Meinung nach wird Erdogan dieses Flüchtlingsabkommen wieder auf den Prüfstand stellen. Und zum anderen hat Erdogan mit seiner derzeitigen Politik, die er betrieben hat, überall Freunde gefunden. Angefangen beim russischen Präsidenten bis hin zum amerikanischen Präsidenten. Aus dem Grunde glaube ich nicht, dass Erdogan das Bedürfnis hätte, westliche Standards und westliche Demokratieverständnisse in irgendeiner Weise einzufordern oder einzuholen.

Erdogan wird das Flüchtlingsabkommen wieder auf den Prüfstand stellen

Er macht sein Ding, er hat die Macht, und die Macht ist für ihn das Ausschlaggebende. Aus dem Grunde gehe ich nicht davon aus, dass wir ein in irgendeiner Weise gearteten Politikwechsel finden werden. Hinzu kommt, dass im kommenden Jahr noch Kommunalwahlen stattfinden. Das heißt, die Bürgermeisterämter von Istanbul und Ankara stehen auch zur Disposition. Und bis dahin wird Erdogan keine versöhnlichen Worte sprechen. Stattdessen wird er weiter versuchen, das Land und die Bevölkerung zu spalten.

Das Interview führte SWR1 Moderator Michael Lueg.

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