Prof. Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, spricht im Interview über Wege aus dieser Lage und wie die Politik reagieren sollte.
Wirtschaftliche Realität ist anders als die Stimmung
SWR1: In der letzten Legislaturperiode ist ein bisschen was in Richtung Umweltschutz, Investitionen usw. passiert. Wurde da zu viel schlecht geredet?
Fratzscher: Die wirtschaftliche Realität heute ist bei weitem nicht so schlecht wie die Stimmung. Wenn man sich die Stimmung anschaut, dann hat man das Gefühl: Wir befinden uns in der tiefen Rezession, wo die Wirtschaft fünf, sechs Prozent schrumpft, wie in der globalen Finanzkrise oder am Anfang der Corona-Pandemie.
SWR1: Aber eine Rezession ist es ja …
Fratzscher: Wir haben eine Stagnation. Ich will die Themen nicht gut reden. Aber, sie sind nicht so schlecht. Wir haben Rekordbeschäftigung. Wir hatten noch nie mehr Menschen in Arbeit als heute. Wir haben noch nie mehr Stunden gearbeitet. Die Reallöhne, also die Kaufkraft der Löhne, steigt wieder ordentlich.
Vorschläge von ifo-Institutspräsident Clemens Fuest Schuldenbremse: Was könnte der Wirtschaft helfen?
Mit der Schuldenbremse geht es so nicht mehr weiter, sagt Clemens Fuest, Präsident des ifo-Instituts. Er hat Vorschläge, wie der Wirtschaftsmotor wieder in Schwung kommen kann.
Fratzscher: Brauchen eine Vision
SWR1: Aber es gibt kein Wirtschaftswachstum. Die Unternehmen sind unsicher, sie investieren nicht und offenbar zieht der Standort Deutschland auch nicht mehr. Das haben die neuesten Zahlen ergeben.
Fratzscher: Diese Unterscheidung ist wichtig: Es ist kein kurzfristiges konjunkturelles Problem, es ist eine langfristige Herausforderung. [...] Für mich sind die Lösungen, die die Parteien anbieten, nur auf die kurze Frist ausgerichtet. Was wir aber brauchen, ist eine Vision. Wie können wir uns wirtschaftlich so verändern, dass wir die großen Erfolge der letzten 70 Jahre […] schützen und wie können wir das weiter ausbauen? Wir müssen in die Zukunft investieren.
Zu wenig Investitionen in die Zukunft?
SWR1: In die Zukunft zu investieren, das bedeutet die Schuldenbremse muss gelockert werden. Das ist mit der Union, die im Moment in den Umfragen führt, nicht zu machen.
Fratzscher: Das ist die Kernfrage. Deshalb bin ich auch nicht so optimistisch, was die nächste Bundesregierung betrifft. Weil die Vorstellungen zwischen den Parteien einfach so stark auseinander gehen. Wenn man Zukunftsinvestitionen in Bildung und in eine gute Infrastruktur will, dann brauchen wir in Deutschland jedes Jahr 80 bis 90 Milliarden Euro zusätzliche staatliche Investitionen. Das sind zwei Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. Das ist eine ganze Menge.
Das kann man entweder finanzieren in dem man sagt, wir nehmen mehr Schulden auf. Das halte ich für gerechtfertigt, weil sich viele der Investitionen langfristig rechnen und zu mehr Steuereinnahmen führen werden. Oder wir müssen die Steuern für manche Menschen erhöhen.
Debatte im Wahlkampf Schuldenbremse: Reformieren oder lassen?
Rund einen Monat vor den Wahlen wird die Debatte über die Schuldenbremse hitziger. Braucht Deutschland eine Reform, um wieder wettbewerbsfähig zu werden? Ein Beispiel ist das Schi…
Es gibt kein Land der Welt, das Arbeit stärker, aber Vermögen geringer besteuert als Deutschland. Dann muss man bei den Steuern sagen, die richtig Hochvermögenden […] müssen sich stärker beteiligen. Zu keinem der beiden Punkte, höhere Schulden oder höhere Steuern für die Hochvermögenden, gibt es einen politischen Konsens.
Es gibt kein Land der Welt, das Arbeit stärker, aber Vermögen geringer besteuert als Deutschland.
Deshalb ist meine Befürchtung, dass wir die nächsten vier Jahre weiter mit zu wenig Zukunftsinvestitionen laufen werden wie schon in den letzten zehn Jahren. Die junge, künftige Generation wird die Leidtragende davon sein.
Das vollständige Interview könnt ihr oben im Audio anhören.