Darüber spricht Birgit Reißig, Professorin am Deutschen Jugendinstitut in Leipzig, im SWR1 Interview. Sie leitet den Forschungsschwerpunkt "Übergänge im Jugendalter".
SWR1: Sehen Jugendliche den wichtigen Übergang von der Schule ins Berufsleben als spannende Chance oder eher als Bedrohung?
Prof. Birgit Reißig: Vor allen Dingen sehen sie ihn als wichtigen Übergang, das haben Sie ganz richtig gesagt. Das ist natürlich ein zentraler Punkt im Lebensabschnitt eines jungen Menschen, zu entscheiden: Was mache ich eigentlich nach der Schule? Und wir finden, dass es durchaus auch ein mit Verunsicherung behafteter Übergang ist.
Wachsende Verunsicherung bei Jugendlichen
Es gibt viele Fragen, die sich Jugendliche an diesem Abschnitt stellen: Schaffe ich überhaupt den Übergang, komme ich in eine Ausbildung oder in ein Studium? Wähle ich den richtigen Beruf? Ist das ein Beruf, den es in zehn oder 15 Jahren überhaupt noch gibt? Auch das treibt viele um. Und wir haben eigentlich in vielen unseren Studien gesehen, insbesondere bei Niedrigqualifizierten wie Hauptschülern, aber eben auch bei anderen Jugendlichen, dass eine gewachsene Verunsicherung zu verzeichnen ist, die auch Probleme bereitet.
Bessere Ausbildungssituation als vor 15 Jahren
SWR1: Woran liegt das? Handwerksbetriebe beispielsweise suchen händeringend Auszubildende, da ist die Situation doch eigentlich nicht so schlecht.
Reißig: Ja, das stimmt. Wir haben auch eine paradoxe Situation gehabt. Die gerade von mir beschriebene Verunsicherung war vor 10 bis 15 Jahren deutlich geringer. Eigentlich in einer Zeit, in der wir ja eher von einem Ausbildungsstellenmangel gesprochen haben, und jetzt hat sich das durchaus verändert und die Jugendlichen treffen auf eine viel bessere Situation.
Allerdings ist natürlich auch so ein gewisser Optionsstress zu beobachten, also wie entscheide ich mich zwischen den vielen Dingen, die ich vielleicht machen kann und entscheide ich mich da richtig? Das macht ein bisschen mehr Sorgen und sorgt für mehr Entscheidungsdruck bei den jungen Leuten.
Jugendstudie Deutschland 2023 Krisen belasten vor allem junge Menschen
Inflation, Krieg und Klimawandel - die Krisen nehmen kein Ende. Die Studie „Jugend in Deutschland 2023“ zeigt nun: Junge Menschen stecken Sorgen schlechter weg.
SWR1: Spielt auch eine Rolle, dass die Schulabgänger von heute sehr instabile Zeiten hinter sich haben? Erst Corona, dann der Krieg in der Ukraine.
Reißig: Das wird sicherlich auch eine Rolle spielen. Wir haben diese Befunde der Verunsicherung allerdings schon vor Corona gefunden. Das heißt, das war eine Entwicklung, die sich durchaus auch schon vorher abzeichnete. Wir sehen aber auch in aktuellen Studien, dass das durch die aktuellen Krisenszenarien und Krisenerfahrungen, die junge Leute jetzt gerade hinter sich haben oder vielleicht noch mittendrin sind, natürlich noch einmal gestiegen ist.
Gen Z: Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist wichtig
SWR1: Man hört immer wieder mal von der bequemen, jungen Generation Z , die in erster Linie auf ihre Work-Life-Balance schaut und sich nicht so sehr anstrengen will. Stimmt das oder ist das eher ein Klischee?
Reißig: Schwer zu sagen, wir können es in unseren Studien nicht so wirklich hundertprozentig bestätigen. Was allerdings tatsächlich ein Punkt ist: die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das ist ein wichtiger Wert, dass das möglich sein sollte in dem Beruf, den ich wähle. Das ist schon ein wichtiger Aspekt für junge Leute.
Das Interview führte SWR1 Moderator Hanns Lohmann.