Sozialpsychologin Pia Lamberty im Interview

Hat die Corona-Pandemie unsere Gesellschaft gespalten?

Stand

Lockdown, Maskenpflicht, Impfdebatten. Vor fünf Jahren war auf einmal alles anders. Und die Corona-Pandemie hat unsere Gesellschaft bis heute geprägt – vielleicht sogar gespalten?

Wie stark diese Spaltung war und vielleicht auch noch bis heute anhält, haben wir Pia Lamberty gefragt. Sie ist Sozialpsychologin und beschäftigt sich intensiv mit gesellschaftlicher Polarisierung und Verschwörungserzählungen.

Was hat die Corona-Pandemie mit der Spaltung der Gesellschaft zu tun?

SWR1: War diese Spaltung schon vor Corona da und nicht so stark zu sehen?

Pia Lamberty: Ich würde sagen ja und nein. Wenn wir uns Studien zum Verschwörungsdenken vor der Pandemie anschauen, war das immer da und hat gewabert. Es war aber nicht so handlungsrelevant, wie in der Pandemie.

Da sind auf einmal Themen aufgetaucht, wie "Gibt es ein Virus oder nicht". Das findet man in dem Milieu häufig als These. [...] In der Pandemie hat aus meiner Sicht schon eine gesellschaftliche Radikalisierung stattgefunden.

Wir sehen beispielsweise auch, basierend auf Umfragen, dass es in ungefähr der Hälfte der Familien Streit gab mit engen Vertrauten. Es war eben ein Konfliktthema, das die Gesellschaft aufgewühlt hat.

Spaltung zeigt sich in der Politik

SWR1: Die Gräben sind tiefer geworden – belegen das auch wissenschaftliche Studien?

Lamberty: Wir sehen zum einen, dass es eine größere Zustimmung zum Rechtsextremismus gibt. Ich würde schon sagen, dass das auch eine Konsequenz der Corona-Pandemie ist. Weil gerade die AfD, aber auch andere rechtsextreme Akteure die Pandemie stark genutzt haben, um Stimmung zu machen und das Vertrauen in die Demokratie zu untergraben. Das ist etwas, was wir heute sehen.

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Es gibt durchaus Herausforderungen, wenn wir jetzt an Impfungen und Impfmüdigkeit nach Corona denken. Die Masern steigen wieder an. Da sehen wir auch heute durchaus noch die Konsequenzen der Pandemie.

Wie hat sich der Umgang mit Krisen in der Gesellschaft seit der Pandemie geändert?

SWR1: Gehen wir als Gesellschaft jetzt anders mit Krisen um? Sind wir weniger bereit zum Dialog?

Lamberty: Ich glaube, man muss immer zwischen kurzfristigen und langfristigen Krisen unterscheiden. Wir sehen schon, dass wir diese Häufung haben, diese Polykrisen. Das wirkt sich auch auf die gesellschaftliche und individuelle Resilienz aus. Menschen haben dadurch häufig weniger Kapazitäten und gehen vielleicht schneller an die Decke oder werden schneller ungeduldig. Ich glaube, dass das eine gesellschaftliche Herausforderung ist, mit der wir noch mal anders umgehen müssen.

Wir sehen auch, dass Einsamkeit noch mal eine Rolle spielt. Und das macht uns alle fragiler, wenn es um den Umgang mit gesellschaftlichen Konflikten geht.

Hat die Pandemie Verschwörungstheorien gefördert?

SWR1: Sie haben vorhin Verschwörungserzählungen angesprochen. Das ist heute auch noch ein Faktor. So etwas zerstört das Vertrauen in Politik und auch in die Medien.

Lamberty: Genau, das Vertrauen in die Politik, Medien, aber tatsächlich auch ins Nahumfeld. Auch das zeigen Studien. Der Verschwörungsglaube ist ein generalisiertes Misstrauen, das sich so durchzieht. Das macht es tatsächlich schwierig, Menschen noch zu erreichen, wenn sie glauben, alles sei eine großangelegte Verschwörung.

Da kommt man mit normalen Informationsangeboten nicht mehr durch. Und das ist durchaus eine Herausforderung. Gerade, weil das Verschwörungsdenken durch Krisen immer neu gefüttert wird.

Also durch Corona, aber auch durch den russischen Angriffskrieg. Auch so etwas wie die Klimakatastrophe ist eine Form von Kontrollverlust, den Menschen erleben. Das kann das Verschwörungsdenken nochmal befeuern. Das Thema wird uns in den nächsten Jahren nicht loslassen.

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So kann unsere Gesellschaft wieder zusammenfinden

SWR1: Unsere Gesellschaft ist ziemlich gespalten. Wie kann man das wieder kitten?

Lamberty: Ich denke, wir müssen uns als Gesellschaft mit den Herausforderungen, die es gerade gibt, auseinandersetzen. Und das ist, dass die Welt gerade autoritärer wird, dass der Rechtsextremismus gestärkt wird. Das heißt, es geht nicht nur darum, Gräben zu überwinden, sondern auch Strategien zu implementieren, die es den Extremen weniger leicht möglich machen, Krisen für sich zu instrumentalisieren.

Das ist ein Muster, das wir tatsächlich bei jeder Krise sehen. Bei jeder Katastrophe versuchen die Feinde der Demokratie, diese für sich zu nutzen. Ich glaube, da braucht es eher einen Ausbau der demokratischen Strukturen und Unterstützung von Initiativen. Gerade da, wo die Demokratie besonders stark angegriffen wird.

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Leider ist im Moment die Tendenz eher gegenläufig, dass abgebaut wird. Ich glaube, dass das eher ein Problem ist, als dass es uns nützt. Ich bin persönlich auch dafür, dass es eine Form von Aufarbeitung gibt. Aber eine, die konstruktiv läuft und nicht, in der es nur darum geht, Schuldige zu finden.

Das hilft, glaube ich, wenig. Aber sich zu fragen, welche Maßnahmen waren sinnvoll, was sind die Konsequenzen? Was bedeutet das zum Beispiel für Jugendliche oder Kinder, in so einer Zeit groß geworden zu sein? Das halte ich für wichtig, um auch resilienter neue Krisen begegnen zu können.

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Stand
Das Interview führte
Christian Balser
SWR1 RP Moderator Christian Balser
Interview mit
Pia Lamberty
Onlinefassung
SWR1