Golineh Atai (Foto: IMAGO, IMAGO / Eventpress Stauffenberg)

“Ich bin erschüttert”

Journalistin Golineh Atai über Russlands Angriff auf die Ukraine

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AUTOR/IN
Michael Lueg
SWR1-Moderator Michael Lueg (Foto: SWR, SWR1 -)

Golineh Atai hat lange als Korrespondentin der ARD aus der Ukraine berichtet. Sie glaubt, dass Putin “seit einem Jahr an dem militärischen Angriff gearbeitet hat.”

In SWR1 Guten-Morgen Rheinland-Pfalz hat Michael Lueg mit Golineh Atai gesprochen:

Der Krieg zweier Länder in Europa, das ist leider grausame Realität geworden seit heute Morgen. Hatten Sie damit gerechnet?

Atai: Ich muss Ihnen sagen, dass ich erschüttert bin. Ich habe nicht mit dem schlimmsten Szenario gerechnet. Wahrscheinlich haben die wenigsten Russland-Beobachter mit diesem Szenario gerechnet. Aber leider hat sich eine alte Wahrheit doch als richtig herausgestellt, nämlich dass die Pessimisten und die Zyniker was das Thema Russland-Beobachtung angeht immer Recht haben. Ich muss sagen ich bin erschüttert. 

Es gab ja schon lange Spannungen, auch Scharmützel - vor allen Dingen in der Ost-Ukraine. Sie beobachten diesen Konflikt ja auch schon seit Jahren. Wie konnte es jetzt am Ende soweit kommen? 

Also die Spannungen haben seit 2014 zugenommen, seitdem wähnt sich der Kreml im Krieg. Wir müssen uns nur daran erinnern und die Punkte miteinander verbinden, was sich seit 2014 ereignet hat: Eine Ideologie der globalen Revanche, ein militärischer Angriff, der so gewaltig ist, dass ich davon ausgehe, dass Russland seit einem Jahr daran gearbeitet hat. 

Was ist ihre Prognose, wie geht es jetzt weiter? 

Also ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, die Nachrichten haben sich in den vergangenen Stunden überschlagen und wahrscheinlich müssen wir jetzt davon ausgehen, dass es eine reale Möglichkeit gibt, dass Putin einen Regimewechsel in der Ukraine erzwingen kann. Also für mich fühlt sich das unglaublich unwirklich an, was wir in den vergangenen Stunden gesehen und gehört haben. Nichtsdestotrotz müssen wir uns darauf einstellen, dass es Realität ist. 

Was bedeutet dieser Krieg für die Menschen in der Ukraine? 

Es ist eine Katastrophe. Was wir im Moment hören ist, dass es bereits Opfer gibt. Ich gehe davon aus, dass Wladimir Putin sein politisches Ziel in der Ukraine nicht erreichen wird. Jede Art von russischer Konfrontation seit 2014 hat in der Ukraine nur dazu geführt, dass es eine größere Solidarität untereinander, eine größere Einheit gegeben hat und letztendlich die ukrainische Nationenbildung auch nochmal verstärkt werden konnte. Also ich gehe davon aus, dass es in dieser Stunde mehr Einheit gibt, als je in der ukrainischen Geschichte. 

Schauen wir auf die Person Wladimir Putin. Alle Bemühungen, diesen Konflikt diplomatisch zu entschärfen sind ja gescheitert. Auch Sanktionen vieler Länder gegen Russland konnten ihn nicht stoppen. Warum nicht? 

Wladimir Putin hat wohl beschlossen, dass er die Kosten neuer Sanktionen tragen kann. Durch die hohen Öl- und Gaspreise hat Putin über Jahre seinen Haushalt in Ordnung bringen können. Er hat die Wirtschaft sanktionenfest machen können. Russland hat eine ziemlich geringe Verschuldung und die Zentralbank hat beachtliche Währungsreserven angehäuft. Also wir müssen davon ausgehen, dass er beschlossen hat, ist, dass er die Lasten dieser neuen Sanktionen tragen kann. 

Wladimir Putin vergleicht ukrainische Regierungsangehörige mit Nazis. Gleichzeitig setzt seine Regierung in der Ost-Ukraine, laut der ZEIT, auf zwielichtige Separatistenführer. Was ist denn mit diesem “lupenreinen Demokraten”, wie Altkanzler Schröder ihn einmal genannt hat, passiert? 

Er hat sich auf jeden Fall radikalisiert. Seit 2007, seit seiner Münchner Rede. Er hat sich radikalisiert seit seinem Einsatz in Georgien. Die erste Invasion, die Russlands Nachbarn gezeigt hat, dass ganz alte sowjetische Reflexe immer noch wach sind. Er traut dem ukrainischen Volk, kann man sagen, kein eigenständiges Denken und Leben zu. 

Wie sehr steht die russische Bevölkerung denn hinter Putin? 

Gute Frage. Also die Euphorie, die wir 2014 gesehen haben, erlebt haben, das hat man in den vergangenen Tagen nicht gesehen. Selbst die Freude, die das russische Staatsfernsehen gezeigt hat in den Separatistengebieten ist ziemlich verhalten gewesen. Da waren ein paar Dutzend Menschen auf der Straße, die russische Fahne geschwenkt haben. Nach neusten Umfragen eines kremlnahen Umfrage-Instituts sollen über 70 Prozent der Russen die Anerkennung dieser Republiken befürworten. Das ist ehrlich gesagt eine Zahl, die mich erstaunt. Denn in all den Jahren nach 2014 gab es zwar eine hohe Zustimmung zur Krim-Annektion, aber es gab eigentlich keine wirklich hohe Zustimmung dazu, diese Separatisten Gebiete, den Donbas an Russland einzugliedern, beziehungsweise deren Unabhängigkeit anzuerkennen. Aber das ist gestiegen, und das hat natürlich auch unmittelbar mit den Auswirkungen des russischen Staatsfernsehen zu tun, das seit Anfang Januar die Kriegstrommeln verlauten lässt. 

 

Das Interview führte Michael Lueg.

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