SWR1: Herr Trabert, Sie waren unter anderem auch in Butscha, an dem Ort, an dem es ein schreckliches Massaker an Zivilisten gegeben hat. Wie haben Sie die Menschen dort erlebt?
Gerhard Trabert: Ich gebe zu, das war der Ort – und die Begegnung mit den Menschen dort - der am meisten betroffen gemacht hat. Wir waren auch dort, wo man das Massengrab gefunden hat. Der Priester, der diese Gedenkstätte betreut, hat mit uns die Situation besprochen. Er hat uns Fotografien gezeigt. Es war sehr bewegend, weil man auch an ihm gespürt hat, wie er versucht, seine Tränen zu unterdrücken. Wir waren auch im dortigen Krankenhaus und haben mit den Ärzten gesprochen, die uns von zahlreichen Verletzten berichtet haben und davon, wie die russische Armee das Krankenhaus durchsucht hat. Das macht alles sehr betroffen, wenn man so direkt mit den Menschen über die Ereignisse spricht.
SWR1: Sie waren neben Butscha noch an weiteren Orten in der Ukraine. Welche Station hat Sie, neben Butscha, noch bewegt?
Trabert: Das war die Begegnung mit Frauen, die mit ihren Kindern geflüchtet sind und die uns berichtet haben, dass sie nicht wissen, ob die Männer, die Väter, noch leben. Eine Frau hat berichtet, dass sich ihr Schwiegervater noch irgendwo in Mariupol in einem Keller versteckt hält, weil er nicht mit ihnen fliehen konnte. Auch die Kinder die wir getroffen haben, haben mich bewegt. Man hat gesehen: Sie sind introvertiert, sie sind zurückgezogen, sie reden zum Teil nicht mehr. Diese allgegenwärtige Traumatisierung, das ist natürlich sehr bewegend. Beeindruckend war auch, wie dankbar die Menschen waren für das, was wir im Gepäck hatten. Das war unter anderem ein Gerät für eine Klinik für Hauttransplantationen, um großflächige Wunden versorgen zu können.
SWR1: 77 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ist wieder Krieg in Europa. Was löst das bei Ihnen, der Sie gerade in diesem Kriegsgebiet waren, aus?
Trabert: Das war am Anfang eine ganz neue Erfahrung. Als wir nach Lwiw kamen, gab es dort einen Raketenangriff und die Rakete ist nicht weit von unserer Strecke eingeschlagen. Dem so unmittelbar ausgesetzt zu sein empfand ich als eine unglaubliche Bedrohung. Bei den Sirenen, die wir häufig gehört haben, da wusste ich nicht, ob das jetzt das Signal für eine Warnung oder für eine Entwarnung ist. Darauf muss man sich aber sofort einstellen. Und immer wieder dieses beklemmende Gefühl: Okay, jetzt ist wieder Warnung, wie gehen wir damit um? Wir waren fünf Tage dort und konnten jetzt wieder weg. Wir sind in Sicherheit - die Menschen dort müssen das permanent aushalten.
Das Gespräch führte Max Sprengart.