SWR1: Wenn man sich das politische Gezerre der letzten Woche anschaut, welches Bild gibt die Politik an dieser Stelle in Sachen Zuwanderung ab?
Gerald Knaus: Das ist sehr widersprüchlich. Ich glaube, die entscheidende Frage für Wähler und Wählerinnen ist – vor allem die über 80 Prozent, die in den Umfragen sagen, dass sie tatsächlich Veränderungen wollen –, welche Partei etwas vorschlägt und was wirken kann, ohne katastrophale Nebenwirkungen. Also ohne ein Aussetzen von Schengen oder ein Brechen von EU-Recht oder eine Verletzung von Menschenrechten.
Jetzt haben wir den Wettbewerb, welche Partei ist nicht nur entschlossen, [... ]sondern welche Partei hat auch ein Konzept, es zu erreichen. Und vor allem: Mit welchem Konzept findet man im Parlament im nächsten Bundestag eine Mehrheit? Da sind sehr viele Fragen weiterhin offen.
Wortbruch oder Strategie Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke: Merz ist voll ins Risiko gegangen
Wir haben mit dem Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke über Friedrich Merz und sein Vorgehen in der Asylpolitik gesprochen.
Migration und der Blick nach Österreich
SWR1: Die sogenannte illegale Migration soll härter bekämpft werden mit dauerhaften Grenzkontrollen, Zurückweisungen, Abschiebehaft. Sind das die richtigen Ansätze?
Knaus: Einiges, was hier vorgeschlagen wurde, ist nur deswegen glaubwürdig, weil sich niemand damit auseinandersetzt, was in den letzten zehn Jahren rund um Deutschland passiert ist. Ich gebe nur ein einfaches Beispiel: Deutschlands Nachbarland Österreich hat pro Kopf in den letzten zehn Jahren mehr Asylanträge gehabt als Deutschland. Österreich hat auch mehr Schutz vergeben und auch die gesamte Zeit (seit 2017) konservative Kanzler und Innenminister.
Es lag also nicht am Willen. Es lag daran, dass Österreich - wie Deutschland - ein Rechtsstaat ist. Und wenn viele Leute über die Südosteuropa-Route in die EU kommen und einen Antrag stellen, dann hat Österreich, trotz der Entschlossenheit seiner Politiker und der harten Rhetorik, diesen Leuten ein vom Gesetz vorgeschriebenes Verfahren gewährt.
Jetzt kann man sagen: "Gut und schön". Aber das Ergebnis ist, dass wir jetzt in Österreich auch eine rechtsradikale Partei haben, die die letzten Wahlen gewonnen hat. Wenn man Lösungen sucht, braucht man Lösungen, die es verhindern, dass rechtsradikale Parteien gewinnen. Lösungen, die sich aber nicht in Rhetorik und Versprechen erschöpfen, wie wir sie in Österreich von der Mitte rechts viele haben. Sondern Maßnahmen, die tatsächlich auch umsetzbar sind.
Gerald Knaus: "Die CDU/CSU spielt in Deutschland eine Schlüsselrolle"
SWR1: Was heißt das für Deutschland? Wir haben im Grunde genommen das gleiche Problem. Wir haben eine radikale Partei und eine gemäßigte konservative Partei, nämlich die CDU/CSU Union. Könnte die das retten?
Knaus: Die CDU/CSU spielt in Deutschland eine Schlüsselrolle. Denn, sie darf die Fehler, die die ÖVP in Österreich gemacht hat, nicht wiederholen: Versprechen zu machen, harte Rhetorik und harte Signale, aber am Ende keinen Erfolg zu haben.
Erfolg hat man – und jetzt gehe ich zurück auf das Lernen aus den Erfahrungen der letzten zehn Jahre – am besten mit Maßnahmen, die schon einmal gewirkt haben. Und wir hatten 2016 eine Einigung, damals mit der Türkei, die dazu geführt hat, dass die Zahl der Menschen, die irregulär in die EU gekommen sind – und dann weiter nach Deutschland, Österreich und andere Länder – drastisch gefallen ist.
Das war ein Abkommen [...] das vier Jahre lang die Zahl der Menschen, die irregulär kamen, reduziert hat.
Das war ein Abkommen, das vor keinem Gericht je in Zweifel gezogen wurde, im Einklang mit dem Europarecht und im Einklang mit den Konventionen für Menschenrechte. Das hat vier Jahre lang die Zahl der Menschen, die irregulär kamen, reduziert.
Solche Abkommen wurden nie wiederholt. Und das mit der Türkei ist nach vier Jahren 2020 zusammengebrochen und wurde nicht erneuert. Das wäre der Weg, gemeinsam mit anderen Europäern, etwas zu tun, was schon einmal gewirkt hat. Und was nicht dazu führt, dass Deutschland tausende Polizisten ausbilden muss. Inbesondere in einer Zeit, in der es bei der Bundeswehr an Personal fehlt, wir unsere Infrastruktur schützen müssen, mit großen geopolitischen Bedrohungen.