Wer am Wochenende Fastnacht gefeiert hat oder beim Après-Ski war, ist an einem aktuellen Party-Hit wahrscheinlich nicht vorbeigekommen.
Was es mit dem Phänomen auf sich hat, darüber sprechen wir mit einem absoluten Experten für Ohrwürmer: Markus Henrick. Er ist Musikkabarettist, Comedian, Musikwissenschaftler und besser bekannt als Dr. Pop.
Dr. Pop, warum gehört "Wackelkontakt" in die Kategorie Ohrwürmer?
SWR1: Warum wird so ein Lied zum Ohrwurm, obwohl man es vielleicht gar nicht so richtig mag?
Dr. Pop: Da gibt es viele Gründe. Erstmal ist der Text relativ originell. Auf so einen sympathisch bescheuerten Text muss man erstmal kommen. Ich glaube, man ist auch so erleichtert, dass wir mal wieder so einen Hit haben, der nicht so problematisch daherkommt. Vor zwei Jahren gab es viel Diskussion um einen Song namens "Leila". Das gibt es diesmal nicht. [...]
Den Song haben vier Jungs komponiert. Einer von ihnen hat Musikwissenschaften studiert, und die haben alle Regeln befolgt, die man so befolgen muss, wenn man einen Ohrwurm komponieren will.
Alles spielt sich eigentlich innerhalb einer Quarte ab. Ein relativ kleiner Tonumfang, und dann wird ein Ton immer wieder wiederholt. […] Mit so einer Art Specht-Methode wird der Ohrwurm richtig ins Gehirn reingehämmert. Dann ist das so ein "Four-Chord-Song", sodass man ihn auf der Gitarre leicht mitspielen kann. Formal gesehen haben die alles richtig gemacht, aber uns natürlich auch einen sehr nervigen Ohrwurm beschert.
Ohrwürmer und Party-Hits
SWR1: Was macht ein Lied zum Ohrwurm – ist es der Text oder die Melodie?
Dr. Pop: Es ist die Mischung. Aber man kann schon ein paar allgemeine Erkenntnisse zusammentragen, was gute Ohrwürmer ausmachen. Die Intervallabstände sind oft nicht so groß. […] In unserem Beispiel "Wackelkontakt" ist das einfach nur eine Quarte. Mehr passiert da nicht.
Wenn man sich zurückerinnert, vor 20 Jahren, gab es schon mal einen Ohrwurm, der mit einer Quarte auskam: Der Song "Big Big World" von Emilia. Der hat sogar noch weniger Töne als "Alle meine Entchen".
Wenn dann noch dazu kommt, dass man sich den Text gut merken kann, weil er vielleicht ein bisschen absurd ist, dann hat man einfach alles richtig gemacht.
Musikgeschmack und Ohrwürmer
SWR1: Hat denn der persönliche Musikgeschmack Einfluss darauf, ob ein Lied zum Ohrwurm wird oder nicht?
Dr. Pop: Ja, absolut. Wenn ich eher Klassik-Fan bin, dann ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass mir mal was von Mozart im Ohr hängen bleibt. Auch in der Klassik hat man schon drauf geachtet, dass Ohrwürmer entstehen. Es gibt einen berühmten Brief vom Vater an den Sohn Mozart, in dem steht "Junge, vergiss das Populäre in der Musik nicht".
Ohrwürmer sind ja auch dafür da, dass ich einen Song gut verkaufen kann. Früher war das fast noch wichtiger. Da gab es keine Radiosender und kein Internet, wo man den Song immer wieder nachhören konnte. Da mussten die Leute nach einem Konzert mit einem Ohrwurm nach Hause gehen. […]
Die Wissenschaft hinter dem Ohrwurm
SWR1: Warum kommt einem ein Ohrwurm manchmal erst viel später in den Sinn?
Dr. Pop: Dazu gibt es interessante Forschungen. Die erste Erkenntnis: nur jeder dritte Mensch hat Ohrwürmer. Da war ich auch überrascht drüber, dass zwei Drittel aller Menschen kaum Ohrwürmer haben.
Die positive Nachricht ist, Ohrwürmer sind gar nicht so was Schlechtes. Denn, die entstehen hauptsächlich dann, wenn wir uns ein bisschen entspannen. […] In Stresssituationen ist das ein bisschen weniger.
Das heißt: eigentlich können wir uns darüber freuen, denn wir leben in Zeiten von Social-Media und Werbung, wo man oft abgelenkt ist. Wenn wir dann einen Ohrwurm haben, sind wir ein bisschen entspannt. Das ist gar nicht so schlecht.
Aber wenn er zu lange da ist, dann sollte man ihn auch irgendwie loswerden. Da gibt es auch ein paar Vorschläge aus der Forschung.
Spezialist für Ohrwürmer bei SWR1 Leute
Ohrwurm loswerden: So klappt’s – oder auch nicht
SWR1: Kaugummi kauen, sich ablenken, das Lied bis zum Ende hören - wie werde ich den Ohrwurm wieder los?
Dr. Pop: Genau, das sind gängige Tipps. Das Lied zu Ende hören ist auch ein Vorschlag aus der Forschung. […] Wenn ich mich aktiv damit beschäftige, dann ist er vielleicht irgendwann weg.
Das mit dem Kaugummi kauen ist sehr spannen. Wenn wir einen Ohrwurm haben, wird unsere sogenannte "Subvokalisation" aktiviert. Das bedeutet, wenn wir an Musik denken, unsere Muskelpartien auch ein bisschen mitschwingen. […] Wenn wir dann Kaugummi kauen, würde das Ganze unterbrochen werden. Ich halte die These für ein wenig waghalsig, aber ich finde sie interessant.
Es gibt noch andere Vorschläge, wie man sollte Zimt essen. Angeblich ist in Zimt ein Stoff, der auch im Gehirn irgendwas unterbrechen würde. Da bin ich mir nicht so sicher. Ich glaube, das Beste ist, einfach mal zu genießen, dass man wieder ein Ohrwurm hat. […]
Tatsächlich ist es so, wenn man nicht dagegen ankämpft, geht der Ohrwurm am schnellsten wieder weg.
Das Gespräch führten Michael Lueg und Steffi Stronczyk.