Oft sind Kinderärzte so überlastet, dass ihnen die Zeit fürs Kerngeschäft fehlt. Ein Arzt erzählt, wie es ihm ergeht.
Eltern suchen verzweifelt nach einem Arzt für ihr krankes Kind, Kinderärzte sind überlastet und können keine Patienten mehr aufnehmen. Das ist deutschlandweit ein Problem und auch in Rheinland-Pfalz. In den nächsten Jahren wird Schätzungen zufolge jeder fünfte Kinderarzt aufhören. Und trotzdem gibt es Kinderärzte, die ihren Job lieben – wie Dr. Stefan Schmitt aus Ramstein-Miesenbach.
SWR1: Wir wollen nichts schön reden. Auch bei Ihnen in der Praxis sind Sie und ihr Team am Limit, oder?
Stefan Schmitt: Jawohl, weil natürlich viel mehr Menschen bei uns gesehen werden wollen, als wir eigentlich bewältigen können.
SWR1: Das heißt, Sie müssen Eltern mit kleinen Patienten wegschicken?
Schmitt: Korrekt. Auch wir können keine neuen Patienten so einfach aufnehmen, sondern wir versuchen, das so zu regulieren, dass wir Säuglinge bis zu einem Jahr aufnehmen. Und versuchen, die anderen an ihre alten Kinderärzte, wenn sie noch welche haben, zurückzuverweisen.
SWR1: Und trotzdem sagen Sie, es ist wunderbar Kinderarzt zu sein. Warum?
Schmitt: Weil die Faszination für den Beruf natürlich Gott sei Dank nichts mit den Begleitumständen zu tun haben sollte. Sondern das Gefühl, Kinderarzt zu sein und meinen Patienten helfen zu können, oder das zu versuchen, reizt mich jeden Tag aufs Neue, weil wir doch eine sehr große Bandbreite an Möglichkeiten haben.
Wir arbeiten ja von Frühgeburtlichkeit bis hin zum Teenager-Alter und haben dort ganz viele Einsätze und Behandlungsmöglichkeiten. Wir arbeiten sowohl mit körperlichen Erkrankungen als auch mit seelischen Erkrankungen. Wir arbeiten mit der Entwicklung der Kinder, versuchen sie zu unterstützen, wenn sie irgendwelche Defizite haben. Wir versuchen, sie zu unterstützen, wenn in der Schule etwas nicht funktioniert, wenn die Problematik im Elternhaus auftritt, bei chronischen Schmerzen.

SWR1: Dieses "Dreier-System" Arzt, Kind und Eltern – macht es das nicht schwieriger?
Schmitt: Ja, das stimmt. Wir behandeln öfter die Eltern als das Kind, das ist korrekt. Wir versuchen, die Eltern für eine Therapie zu gewinnen, die wir für das Kind als notwendig erachten.
SWR1: Und wie sind Kinder als Patienten? Was unterscheidet sie von den Erwachsenen?
Schmitt: Natürlich haben wir im ersten Lebensbereich, also bis zum Alter von drei oder vier Jahren, sehr ängstliche, zurückhaltende Kinder. Wir arbeiten viel mit Impfungen im ersten Lebensjahr, das heißt, dass der Besuch oft schmerzhaft ist und die Kinder sich dann auch erst mal zurückziehen. Das geht so ab drei oder vier Jahren los, dass das Kind dann auch wirklich seinen eigenen Charakter uns gegenüber zeigt, ohne Angst zu haben.

SWR1: Wenn wir noch mal auf ihren Beruf als Kinderarzt schauen: Hilft es da auch, dass sie nicht allein in der Praxis sind, sondern im Team zusammenarbeiten?
Schmitt: Ja. Mein Kollege und ich sind schon seit über 20 Jahren zusammen in den verschiedenen Kliniken gewesen und jetzt auch zusammen in der Praxis. Das 4-Augen-Prinzip hilft uns sehr, weil gerade unsere Kinder ja doch manchmal etwas komplexere Krankheitsbilder haben. Sich in diesen Fällen darüber auszutauschen und mit dem Kollegen vor Ort schon absprechen zu können, was für das Kind vielleicht jetzt das Beste ist, nimmt einem schon den Druck, wenn man nicht alles alleine entscheiden muss.
Wir können viele Patienten noch heilen. Das können viele andere Fachbereiche nicht mehr.
SWR1: Was müsste denn Ihrer Meinung nach passieren, damit der Beruf für Jüngere wieder attraktiver wird? Denn es fehlen ja Kinderärzte.
Schmitt: Wichtig ist, dass man die Faszination für den Beruf in den Vordergrund stellen kann, dass sie auch Zeit und auch Energie haben für das, was uns eigentlich ausmacht: nämlich der medizinische Anwalt der Kinder zu sein und auch für sie zu kämpfen. Dass wir dafür wieder Zeit haben und nicht wie im Winter jetzt üblich, so viele Infekte behandeln müssen, dass die Zeit fehlt, uns um unser Kerngeschäft zu kümmern. Das besteht auch aus den U- Untersuchungen (Anmerkung der Redaktion: Vorsorge-Untersuchungen) und der Unterstützung der Familien, die uns in diesem Bereich brauchen. Mehr Zeit zu haben würde schon helfen, wenn wir das auf mehr Schultern verteilen könnten.
Wir sind der medizinische Anwalt der Kinder.
Denn der Beruf an sich ist ein wahnsinnig toller und auch sehr, sehr dankbarer Beruf, weil wir Patienten noch heilen können und das können viele Fachbereiche. Wir können eine Krankheit so zum Stillstand bekommen, dass es danach für den Rest des Lebens keine Rolle mehr spielt. Ich finde es immer sehr dankbar, wenn ich einem Menschen eine Krankheit nehmen kann – das ist natürlich für das kommende Leben dieses Kindes ein wahnsinniger Benefit.
Das Gespräch führte SWR1 Moderatorin Claudia Deeg.
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