SWR1: Es ist eine unbefriedigende Situation: Man weiß, es gab diese Fälle von Blutgerinnsel, sogar drei Tote gab es, aber man weiß nicht, ob sie mit der Impfung in Zusammenhang stehen. Was sagen Sie – ist die Entscheidung, das Impfen mit dem AstraZeneca-Impfstoff zu stoppen, richtig?
Bodo Plachter: Das ist eine grundsätzliche Vorsichtsmaßnahme. Bei solchen Impfungen, sowohl bei den Studien für die Zulassung als auch dann hinterher, ist es immer so, dass man sehr genau schaut, welche Krankheiten in der Folge einer Impfung auftreten. Jetzt haben wir hier eine gewisse Häufung von eben solchen Gerinnungsstörungen und Thrombosen. Das muss man entsprechend prüfen - was ein normaler Vorgang ist. Man stoppt erstmal das Impfen und nimmt sich Zeit, damit sich Experten die Situation anschauen und dann entscheiden können, ob da ein Zusammenhang besteht oder nicht. Im Augenblick ist es eher unwahrscheinlich, aber es ist eben nicht ausgeschlossen – und daher diese Vorsichtsmaßnahme, die ja nicht nur hier, sondern auch in anderen Ländern ergriffen wurde.
SWR1: Was bedeutet diese Entscheidung für Menschen, die bereits geimpft wurden? Der Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts sagt: „Wenn Ihre Impfung 16 Tage her ist, dann haben Sie nichts zu befürchten“. Aber wenn man noch in dem Zeitraum davor ist, was können dann Alarmsignale sein?
Plachter: Kopfschmerzen werden da genannt. Aber generell gilt, wenn über einen längeren Zeitraum nach der Impfung Nebenwirkungen beobachtet werden, dann sollte man auf jeden Fall einen Arzt kontaktieren. Die Impfung ist ja nicht ganz nebenwirkungsfrei. Viele klagen ja nach den ersten ein bis zwei Tagen über deutliche Nebenwirkungen wie Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen und Müdigkeit. Das sind, wenn man so möchte, fast normale Nebenwirkungen. Wenn das aber über längere Zeit bestehen bleibt, dann sollte man das überprüfen lassen.
SWR1: Also wenn man am Tag danach Kopfschmerzen hat und dann direkt zum Arzt geht – das wäre übertrieben. Aber so ab dem vierten Tag sollte man schon mal vorsorglich Erkundigungen einziehen. Macht es Sinn, vorbeugend blutverdünnende Schmerzmittel zu nehmen – also beispielsweise Aspirin oder Ibuprofen?
Plachter: Nein, das sollte man sicherlich nicht tun, nur um irgendwelche möglichen Nebenwirkungen, die vielleicht gar nicht existieren, zu behandeln. Man sollte, wenn denn weiter geimpft wird, auch darauf vertrauen können, dass die Entscheidung richtig war und dass eben kein Zusammenhang mit der Impfung besteht. Wir haben ja auch die Situation im Vereinigten Königreich, wo sehr viele Dosen dieses Impfstoffes verimpft wurden, ohne dass Fälle in entsprechender Zahl aufgetreten sind. Es ist zunächst mal sehr unwahrscheinlich, dass ein Zusammenhang besteht, aber man muss es eben prüfen.

SWR1: Inwieweit wirft uns das jetzt bei den Impfungen zurück, kann man das abschätzen?
Plachter: Jeder Tag, der verstreicht, ohne dass geimpft wird, ist natürlich ein verlorener Tag – das ist ganz klar. Natürlich ist es auch so, dass selbst wenn ein Risiko besteht, das Risiko, durch eine COVID-Erkrankung schwer zu erkranken und möglicherweise auch daran zu versterben, ist viel höher. Das muss man natürlich schon in Betracht ziehen. Das heißt, es ist jetzt geboten, möglichst schnell zu einer Entscheidung bezüglich dieses Impfstoffes zu kommen und dann eben auch gegebenenfalls weiter zu impfen. Uns läuft da auch die Zeit davon.
SWR1: Also Sie sagen ganz klar, die Chance an COVID zu erkranken sei viel größer, als möglicherweise Blutgerinnsel zu haben. 1 : 243.000 ist die Chance bei den Geimpften. Als die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) AstraZeneca zugelassen hat, verkündete sie bei einer Pressekonferenz, dass aufgrund der damals relativ dünnen Datenlage „der Nutzen größer als die Risiken sei“. Halten Sie es für möglich, dass dieser Satz am Donnerstag, wenn die EMA berät, wieder fällt und dass AstraZeneca ab Freitag wieder verimpft werden kann?
Plachter: Das könnte ich mir gut vorstellen. Insbesondere wenn man feststellt, dass kein häufiger Zusammenhang zwischen Impfungen und diesen Erkrankungen besteht. Man wird jetzt natürlich schauen, wie häufig kommt eine solche Erkrankung auch in der Normalbevölkerung, also in der nicht-geimpften Bevölkerung, vor – auch natürlich abhängig von den Altersgruppen. Solche Nebenwirkungen, also diese Thrombosen, treten wohl bevorzugt auch im jüngeren Lebensalter auf. Man wird sich das genau angucken, denn man hat die Statistiken von diesen Erkrankungen und wird schauen, ob da eben rein von den Zahlen her ein Zusammenhang bestehen könnte. Ich kann mir gut vorstellen, dass man dann zeitnah wieder zur Entscheidung kommt, dass man weiter impfen kann.
Das Interview führte SWR1 Moderator Jürgen Kurth.