Schulkinder spielen mit Papierfliegern im Klassenzimmer (Foto: IMAGO, IMAGO / Cavan Images)

Bildungsexperte: Weniger ist mehr

Was läuft falsch an unseren Schulen?

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Michael Lueg

Laut einer aktuellen Forsa-Umfrage denken 85 Prozent der Befragten, dass die Schule Kinder und Jugendliche nicht gut genug auf das wirkliche Leben vorbereitet. Was müsste sich an Schulen ändern? Antworten darauf weiß Andreas Schleicher, Bildungsdirektor bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) im SWR1 Interview. Schleicher ist auch Erfinder der PISA-Studie.

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SWR1: Wie schätzen Sie das ein? Werden unsere Kinder schlecht auf das wirkliche Leben vorbereitet?

Andreas Schleicher: Wir müssen weniger Stoff in größerer Tiefe vermitteln. Entscheidend ist heute: Können Kinder für sich selber denken? Können sie mit anderen Menschen gut zusammenarbeiten und können sie Probleme lösen? Wenn sie das können, dann sind sie gut auf das Leben von morgen vorbereitet.

Die Schüler müssen mehr ins Tun kommen.

SWR1: Was läuft denn dann falsch in den Schulen? Da müsste ja dann etwas geändert werden.

Schleicher: In Deutschland wird zu viel Stoff in zu geringer Tiefe vermittelt. Das ist heute etwas, das sie bei ChatGPT nachfragen können und bei Google. Entscheidend ist, was kann ich mit diesem Wissen in der Praxis anfangen? Die Schüler müssen mehr ins Tun kommen, Dinge anwenden und nicht nur einfach hören. Davon hängt der Erfolg später ab.

SWR1: Im Internet liest man immer wieder, dass viele gerne gelernt hätten, welche Versicherungen sie später brauchen oder wie das mit der Altersvorsorge funktioniert. Sollte man so etwas auch in der Schule vermitteln? Ist das überhaupt Aufgabe der Schule?

Schleicher: Das ganz konkrete Alltagswissen verändert sich einfach zu schnell. Da kann man einfach nicht mehr auf alle Unwägbarkeiten vorbereiten. Was wir morgen machen, müssen wir anders machen als heute. Entscheidender ist wirklich eher, die Grundkonzepte wirklich tief zu vermitteln.

Auch die Eltern müssen sich um die Bildung ihrer Kinder kümmern.

SWR1: Wer ist jetzt am meisten gefragt, um die Situation zu verbessern? Die Politik, die Lehrer, die Eltern?

Schleicher: Ich glaube, daran müssen wir alle arbeiten. Die Politik kann sicherlich mehr tun, um die Lehrpläne zu entschlacken. Wenn Sie als Lehrkraft heute gut sein wollen, dann sind sie eben nicht nur Wissensvermittler, sondern auch guter Coach, guter Mentor. Aber auch die Eltern müssen sich um die Bildung ihrer Kinder kümmern. Davon hängt sehr, sehr viel ab.

SWR1: Bildung ist Ländersache. Der Bund kann nicht so viel mitreden. Aber genau das wünschen sich fast drei Viertel der Menschen, sagt die Forsa-Umfrage. Damit der Bund mehr Kompetenzen bekommt, müsste man ans Grundgesetz ran. Wie nötig ist Ihrer Meinung nach so ein großer Schritt?

Schleicher: Wichtig ist, dass Bund, Länder und Gemeinden viel enger miteinander zusammenarbeiten. In Deutschland wird ja viel in Bildung investiert. Man sieht ja, dass die Lehrer gut bezahlt sind, weil die Länder eben Geld haben. Aber in den Kommunen mangelt es oft. Und dann ist die Infrastruktur, die digitale Technik, oft nicht auf dem neuesten Stand.

Der Bund kann sicherstellen, dass im Grunde die Ressourcen intelligenter, übergreifender genutzt werden. Für mich ist das nicht eine Frage, ob einer gegen den anderen arbeitet. Sondern, wenn alle zusammenspielen, kann man ganz sicher viel mehr erreichen.

Das Gespräch führte SWR1 Moderator Michael Lueg.

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