Auch die Theologin Margot Käßmann feiert aus Gründen der Vernunft nur mit ihrer Tochter und Sie wird auch zu einem gesicherten Gottesdienst gehen - mit viel Platz und Abstand. In den Einschränkungen sieht die ehemalige Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche in Deutschland aber auch eine Chance.

SWR1: Es gibt viele Menschen, die aktuell einen Besuch des Gottesdienstes als unverantwortlich halten. Können Sie das nachvollziehen?
Margot Käßmann: Ich kann das verstehen. Jeder sollte ganz frei entscheiden, gehe ich zum Gottesdienst oder schaue ich einen im Fernsehen an oder höre ihn im Radio. Aber so, wie das geplant wurde, ist das sehr verantwortlich - genauso wie Lebensmittel in den Läden besorgt werden können. Für viele ist das auch ein Lebensmittel für die Seele. Das zu untersagen, fände ich schon sehr belastend.
SWR1: Sie haben auch gesagt, in diesem Weihnachten liege eine Chance - welche denn?
Käßmann: Dieses Weihnachten ist erzwungenermaßen ein stilleres. Stille Nacht, heilige Nacht ist für viele Realität. Das ist die Zeit nochmal zu fragen, was bedeutet mir mein Leben und was bedeutet mir Glaube? Was sind die Beziehungen in Leben, die mir so wichtig sind, dass ich sie heute vermisse. Ich denke, es wird ein wesentlich nachdenklicheres Weihnachten. Wenn in den letzten Jahren manche Menschen gesagt haben, es müsste jetzt doch noch etwas besinnlicher sein, werden sie dieses Jahr wieder zurückgeworfen. Manche werden schwierige Situationen haben - alleine und einsam. Ein Prozess der Klärung kann so aber auch stattfinden - was ist mir wirklich wichtig im Leben?

SWR1: Einsam und alleine - wie machen Sie diesen Menschen Mut?
Käßmann: Ich möchte diesen Menschen Mut machen. Jeder, der allein ist, muss nicht einsam sein. Nimm doch Kontakt auf - jeder Mensch hat Freunde und Freundinnen, es gibt irgendwo Familie. Viele warten auch darauf, dass Du sie anrufst. Es gibt dafür das Telefon, Briefe oder beispielsweise Zoom, wo Du den anderen auch sehen und begegnen kannst. Schalte dich ein in eine Gottesdienstveranstaltung, die virtuell stattfindet. Die Telefonseelsorge ist für die Menschen da, auch an Weihnachten. Gottvertrauen hilft auch, um zu sagen: Gott ist da in der Weihnacht. Mitten im Dunkel ist eben auch Licht.
SWR1: Wie können wir trotz Corona für eine angemessene Stimmung sorgen?
Käßmann: Corona ist eine Belastung. Das Wichtige ist, das auch auszusprechen. Die einen haben große und tiefe Ängste, die durch wissenschaftliche Erkenntnisse auch nicht einfach so wegzureden sind. Die anderen sind absolut sorglos und sagen, ich habe davor gar keine Angst oder glauben das sogar gar nicht. Wichtig ist darüber zu sprechen, was ich fühle, wovor ich Angst habe oder wo ich vielleicht auch Maßnahmen übertrieben finde. Solange wir darüber reden, sind wir uns auch nahe. Das Verschweigen oder aggressiv im Ton zu werden, hilft uns nicht weiter. Wir brauchen Zusammenhalt und Ermutigung, um einander zu trösten. Das ist wirklich wichtig.