Sturmgewehr (Foto: dpa Bildfunk, Picture Alliance)

Prozessauftakt zu vereitelter Terroraktion

So sollte der Umsturz in Deutschland ablaufen

Stand
MODERATOR/IN
Claudia Deeg
Claudia Deeg (Foto: SWR)

Folgendes Szenario war geplant: Der Strom fällt großflächig aus, dann wird Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach entführt. Das hatten offenbar fünf mutmaßliche Mitglieder einer Terrorgruppe vor.

Audio herunterladen (2,6 MB | MP3)

Vor gut einem Jahr wurden sie festgenommen. Jetzt beginnt in Koblenz der Prozess gegen die vier Männer und eine Frau. Der Vorwurf: Gründung oder Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung.

Wir haben bei unserem SWR Terrorismusexperten Holger Schmidt nachgefragt, wie kurz wir vor einem Umsturz standen.

Holger Schmidt: Wenn wir uns den wirklichen Umsturz vorstellen, also eine Beseitigung der staatlichen Ordnung in der Bundesrepublik, dann war die Gruppe meilenweit davon entfernt. Wenn sie das alles so geplant haben mag, hatte sie nie eine reale Chance gehabt. Aber die Pläne – und das ist für mich das Gefährliche und Dramatische an diesem Fall – waren sehr konkret. Und die Bestrebung, Sturmgewehre zu bekommen, um bei der Entführung von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach notfalls die Leibwächter töten zu können, das sind alles reale Überlegungen gewesen. Wenn der Verkäufer der Sturmgewehre nicht ein verdeckter Ermittler der Polizei, sondern ein richtiger Waffenhändler gewesen wäre, dann hätte das Ganze durchaus mit Verletzen oder vielleicht sogar Toten enden können.

Karl Lauterbach spricht auf einer Pressekonferenz. (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Hannes P Albert)
War Ziel einer geplanten Entführung: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach.

SWR1: Das Ganze klingt abenteuerlich. Wie sollte das alles ablaufen?

Schmidt: Die Ermittler sagen, dass es eine Planung gegeben hat, die im Grunde aus drei Schritten bestanden habe. Der erste Schritt: ein allgemeiner Stromausfall, ein "Black-out", wie das die Gruppe selbst genannt hat, mit dem Ziel Verunsicherung zu erzeugen. Dann eine Entführung von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach im Rahmen einer Talkshow. Das wäre eine Gelegenheit gewesen, ihn spektakulär zu entführen. In einem dritten Schritt hätte es eine Art "Kammerspiel" im Theater geben sollen. Ernsthaft soll die Gruppe eine Art Stellungnahme des Bundespräsidenten geplant haben – imitiert durch einen Schauspieler. Dann, so war man der festen Überzeugung, hätte sich in Deutschland ein allgemeiner Umsturz entwickeln können. Das klingt alles ziemlich phantastisch, ist aber aus Sicht der Ermittler alles sehr ernst gemeint gewesen. Und der Generalbundesanwalt und die ermittelnden Polizeidienststellen glauben, das im Rahmen der Hauptverhandlung auch beweisen zu können.

SWR1: Die Angeklagten sollen der so genannten Reichsbürgerszene angehören. Was ist über sie bekannt? 

Schmidt: Zunächst überrascht mich bei den Angeklagten, dass sie im Vergleich zu anderen Fällen aus früherer Zeit aus der bürgerlichen Mitte kommen und vergleichsweise normale Biografien haben. Die Frau, die in der Gruppe eine führende Rolle gespielt haben soll, ist Elisabeth R., eine frühere Gymnasiallehrerin aus Mainz. Wie kommt es denn, dass jemand, der als Lehrerin im Gymnasialdienst Menschen unterrichtet und eigentlich auch das Gesellschaftssystem getragen hat, in so einen Verdacht gerät, wie das jetzt der Fall ist? Zu ihrer Geschichte muss man sagen, dass sie schon lange vor dem Ermittlungsverfahren große Probleme mit verwaltungsrechtlichen Streitigkeiten hatte. Das Land Rheinland-Pfalz war der Meinung, so, wie sie sich aufführt und solche Thesen, die sie vertreten hat – die Existenz der Bundesrepublik Deutschland zu leugnen – dass das nicht dazu führen kann, dass so jemand eine staatliche Pension bekommt. Und tatsächlich hat sie ihren Pensionsanspruch rechtlich wirksam schon lange vor dem Ermittlungsverfahren verloren.

Das Interview führte SWR1 Moderatorin Claudia Deeg.

Mehr zum Thema Terrorismus

Koblenz

"Reichsbürger"-Gruppe in Koblenz vor Gericht Geplante Lauterbach-Entführung: Prozess gegen "Vereinte Patrioten" eröffnet

Fünf mutmaßliche Terroristen müssen sich seit Mittwochmorgen vor dem Oberlandesgericht in Koblenz verantworten. Für den Prozess gelten erhöhte Sicherheitsvorkehrungen.

SWR Aktuell Rheinland-Pfalz SWR Fernsehen RP

ARD Terrorismusexperte und Datenjournalist Holger Schmidt - unser Mann für Ausnahmesituationen

Holger Schmidt will verstehen, warum Dinge geschehen. Datenjournalismus ist die jüngste journalistische Disziplin, Ursachen zu finden. Auch im Bereich Terrorismus stellt sich oft die Frage nach dem „Warum?“.

Rheinland-Pfalz

Verschwörungsideologien und Waffen-Affinität "Reichsbürger" in Rheinland-Pfalz - nur Einzelfälle?

Umsturzphantasien und Terrorpläne: Die jüngste Großrazzia gegen "Reichsbürger" hat für Aufruhr gesorgt. Auch in Rheinland-Pfalz sind "Reichsbürger" bereits mehrfach aufgefallen.

Am Vormittag SWR4 Rheinland-Pfalz

SWR1 Interview

Individuelle Behandlung wichtig So kann Psychotherapie bei Depressionen helfen

Depressionen sind als Volkskrankheit nicht zu unterschätzen. Eine individuelle Psychotherapie und Medikamente können helfen, erzählt Psychologin Dr. Barbara Deimling.

Der Vormittag SWR1 Rheinland-Pfalz

Kreis Bernkastel-Wittlich

Zahme Tiere zum Abschuss in den Wald gebracht Landesjagdverband: "Jagd muss fair bleiben"

Im Kreis Bernkastel-Wittlich wurden offenbar zahme Wildtiere in den dortigen Wald zum Abschuss gebracht. Gundolf Bartmann vom Landesjagdverband hat unsere Fragen beantwortet.

Guten Morgen RLP SWR1 Rheinland-Pfalz

Mainz

Mahnwache für Opfer der Flutkatastophe im Ahrtal Vater von Johanna fordert Anklage durch Staatsanwaltschaft

Ralph Orth, Vater der 22-jährigen verstorbenen Johanna Orth, ist unter den Demonstranten vor dem Mainzer Landtag. Er drängt darauf, dass die Schuldfrage endlich geklärt wird.

Guten Morgen RLP SWR1 Rheinland-Pfalz