SWR1: Viele sagen: Wir müssen dringend eine neue, große Impfkampagne für die Booster-Impfungen bzw. die dritten Impfungen starten. Sind wir zu spät dran?
Bodo Plachter: Ich würde nicht sagen, dass wir zu spät dran sind. Wir kommen jetzt in den Herbst und die STIKO hat erklärt, dass es Sinn ergibt, Menschen, die älter sind als 70 Jahre noch einmal zu impfen. Denn es zeigt sich, dass gerade Menschen über 70 jetzt verstärkt wieder erkranken können. Daher ist es wichtig, die Menschen dieser Altersgruppe zu impfen. Im Prinzip ist das auch erwartbar gewesen. Denn die Impfungen wirken zu 90 bis 95 Prozent - das wissen wir aus Studien - und da bleiben fünf Prozent übrig. Also macht es durchaus Sinn, jetzt auf jeden Fall aktiv und schnell noch einmal nachzuimpfen.
SWR1: Viele 40-, 50- oder 60-Jährige möchten sich zur Sicherheit auch noch einmal impfen lassen möchten. Ist das sinnvoll?
Plachter: Die Studienlage gibt das im Augenblick eigentlich nicht her. Denn es zeigt sich, dass gerade jüngere Menschen nach zweifacher Impfung immer noch sehr gut gegenüber einer schweren Erkrankung oder einem Todesfall geschützt sind. Das mag sich vielleicht in den nächsten Monaten noch ändern. Wahrscheinlich wird man irgendwann dazu übergehen, auch jüngere Menschen ein drittes Mal zu impfen. Im Augenblick, glaube ich, muss man das Augenmerk erst mal drauf legen, die älteren Altersgruppen referenziell zu impfen.
SWR 1: Wann sollte man die Impfung auffrischen? Nach einem Jahr?
Plachter: Der Mindestabstand sollte bei einem halben Jahr liegen, das empfiehlt die STIKO. Das heißt aber nicht, dass man unbedingt am nächsten Tag direkt zum Impfen gehen muss. Es handelt sich dabei um den minimal empfohlenen Abstand. Der gilt übrigens auch bei anderen Impfungen.
SWR1: Kinder unter zwölf Jahren sind in Deutschland noch gar nicht geimpft. In den USA wird gerade sehr viel Druck gemacht für eine Notzulassung der Impfstoffe. Warum sind die USA da schneller als wir?
Plachter: In den USA sind die Infektionszahlen bei Kindern und Jugendlichen deutlich höher. Es ist nicht ganz klar, woran das liegt. Es könnte an verschiedenen Gesundheitsfaktoren bei Kindern und Jugendlichen liegen, zum Beispiel an Übergewicht. Übergewichtige Menschen haben ein höheres Risiko, genauso wie zum Beispiel an Diabetes erkrankte. All das ist möglicherweise bei Kindern und Jugendlichen in USA deutlich ausgeprägter als bei uns. Daher sieht man auch dort dann auch häufiger Kinder und Jugendliche in den Kliniken. Entsprechend groß ist dort der öffentliche Druck, einen Impfstoff für Kinder und Jugendliche zuzulassen. Laut Kinder- und Jugendärzten haben wir keine Fälle in diesem Ausmaß.

SWR1: Rechnen Sie damit, dass es bei uns keine Zulassung der Impfstoffe für Kinder unter zwölf Jahren geben wird?
Plachter: Das möchte ich nicht sagen. Bei uns ist aber der große öffentliche Druck nicht da, weil Kinder und Jugendliche in aller Regel nicht schwer erkranken. Natürlich werden auch bei uns solche Impfstoffe wahrscheinlich mittelfristig zugelassen. Es gibt schließlich auch hier Kinder und Jugendliche, die Grunderkrankungen haben. Die sollten auch geimpft und somit geschützt werden. Ich erwarte, dass auch bei uns eine entsprechende Zulassung beantragt wird und die Zulassung der Impfstoffe erfolgt. Dann bleibt es eine Entscheidung der STIKO, wer zunächst geimpft werden soll und ob alle Kinder und Jugendlichen geimpft werden sollen.
Das Interview führte Birgit Steinbusch