Das literarische Quadrat

SWR1 Buchtipp: "Crossroads" von Jonathan Franzen

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Rainer Hartmann
Moderator Rainer Hartmann aus dem SWR1 Team. Regelmäßig zu hören in SWR1 Baden-Württemberg. (Foto: SWR)

Kann ein gutes Werk wirklich um seiner selbst willen getan werden? Oder bewirken wir gerade dann das Schlechte, wenn wir alles richtig machen wollen?

"Crossroads" ist ein Familien-Roman mit 826 Seiten. Geschrieben hat ihn Jonathan Franzen, er gilt als der aktuell beste Schriftsteller in den USA.

Worum geht es im Roman "Crossroads"?

Autor Jonathan Franzen entführt den Leser in das Jahr 1971 in eine Vorort-Gemeinde in Chicago. Der Roman spielt hauptsächlich an einem einzigen Tag, dem 23. Dezember. Heftiger Schneefall wirbelt das Leben der Familie Hildebrandt durcheinander und die Ereignisse überschlagen sich.

Da sind die Eltern, beide um die 50 Jahre alt: Vater Russ Hildebrandt ist der zweite Pfarrer der Gemeinde und setzt alles daran, an diesem Tag mit der jungen Witwe Frances fremdzugehen, auf die er schon länger ein Auge geworfen hat. Mutter Marion Hildebrandt führt ihrerseits wiederum ein geheimes Leben: Statt, wie sie vorgibt, ins Fitness-Studio zu gehen, besucht sie eine Psychotherapeutin, um dort ihr Herz auszuschütten. Außerdem möchte sie endlich 15 Kilo abnehmen. Schließlich gibt es noch vier Kinder: Die Geschwister Jud, Perry, Clem und Becky, die alle zwischen neun und 22 Jahre alt sind.

"Crossroads" wie der gleichnamige Song von Eric Clapton und The Cream

Jedes Kapitel des Romans erzählt den Verlauf der Geschichte aus den Augen eines Familienmitglieds. Die ganze Familie ist in irgendeiner Form Teil der hippiehaften Jugendgruppe "Crossroads" - benannt wie der gleichnamige Blues-Klassiker von Eric Clapton und The Cream. Es geht um das Innenleben der Figuren, ihre Psychologie.

So leidet Vater Russ Hildebrandt beispielsweise unter einer Ehe- und einer Karrierekrise. Im Grunde ist er eine Kleinkrämer-Seele, ein pomadiger, scheinheiliger Typ, der ein Leben in Scham und Selbstkasteiung führt und von seinen Kindern sarkastisch "Hochwürden" genannt wird. Tochter Becky ist dagegen eine hinreisende Person, für mich ist sie sogar die Figur des Romans.

Schriftsteller Jonathan Franzen kritisiert Scheinheiligkeit

Ein großes Thema in der Familie sowie in der Jugendgruppe ist christliche Nächstenliebe. Vordergründig bemühen sich alle darum, ein besserer Mensch zu werden - doch unter diesem Deckmantel herrschen Egoismus und Eitelkeit. Die guten Absichten, die alle haben, sind stets mit Eigennutz verbunden.

»Die Kernfrage des Romans lautet: Kann ein gutes Werk wirklich um seiner selbst willen getan werden? Ist es nicht oft so: Wenn wir alles richtig machen wollen, bewirken wir gerade das Schlechte?«

Fortsetzung zu "Crossroads" schon in Planung

Franzen gilt als der aktuell beste Schriftsteller in den USA. Er ist ein Meister des psychologischen Unterhaltungsromans und der Formulierungskunst, oft mit viel Ironie - ein Bestseller-Garant. Drei große Romane hat Franzen in diesem Jahrtausend herausgebracht: Den sehr guten Roman "Die Korrekturen", den noch besseren Roman "Freiheit" und "Unschuld" - Kritiker sagen: ein ganz schwaches Buch.

"Crossroads" ist der Auftakt zu einer Trilogie, es soll zwei Nachfolger geben. Ich will auch unbedingt wissen, wie es mit der Familie Hildebrandt weitergeht. Hat man die ersten 50 Seiten geschafft, lässt einen dieser Roman nicht mehr los.

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