Mietwohnungen (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/Arne Dedert)

Gentrifizierung in Baden-Württemberg

Wie Mieter aus ihren Wohnungen vertrieben werden

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AUTOR/IN
Dorothee Zeißig

Überteuerte Mieten verdrängen manchenorts alteingesessene Mieter. Ihre Wohnungen übernehmen wohlhabendere Menschen. Diese sogenannte "Gentrifizierung" ist auch in Baden-Württemberg ein Problem.

Was ist Gentrifizierung?

Ein neuer Supermarkt, kleine Bars oder ein Kindergarten: Wenn ein Stadtteil aufgewertet wird, steigt oft die ortsübliche Miete. Das betrifft Neubauten, aber auch Bestandswohnungen: Hier begründet mancher Vermieter mit Renovierungsarbeiten Mieterhöhungen von 300 Prozent! Für Menschen mit geringem Einkommen ist das kaum bezahlbar; so mancher muss nach Jahrzehnten seine Wohnung verlassen. In die ziehen dann wohlhabendere Menschen ein. "Gentrifizierung" heißt das Phänomen - und es betrifft nicht nur den einzelnen Mieter. Denn durch die Mieterhöhungen steigt auch die ortsübliche Vergleichsmiete. Das sorgt wiederum für erneute Mieterhöhungen - eine Preisspirale.

Gentrifizierung in Stuttgart Hallschlag

Der Stuttgarter Stadtteil Hallschlag ist seit 2007 Teil des Bundesprogramms "Soziale Stadt". Die Häuser dort wurden zum Teil in den 1920er Jahren erbaut. Mehmet Süngerli und seine Familie leben seit sieben Jahren im Hallschlag in einer Art Reihenhaus mit Gartenlaube. Mietkosten: 1.000 Euro warm. Das Haus ist umgeben von Rasenflächen mit altem Baumbestand, es zählt zu den ältesten im Hallschlag. Doch die Stuttgarter Wohnungs- und Städtebaugesellschaft (SWSG) will hier neu bauen.

Wohnen in Stuttgart (Foto: SWR, Cordelia Marsch)
Platz fürs Zusammensein, die Erweiterung der eigenen Wohnung in Gemeinschaft — gemeinsame Grünflächen haben eine große Bedeutung für das Zusammenleben im Viertel. Bild in Detailansicht öffnen
Wohnen in Stuttgart (Foto: SWR, Cordelia Marsch)
Mehmet Süngerli wehrt sich gegen den Abriss: Im Haus, erzählt er, habe er beim Einzug alles renoviert, hat Böden verlegt, eine Küche eingebaut, Türen ersetzt. Nur weil er alles selbst gemacht hat, habe er das Haus zur Miete bekommen, erzählt er. Bild in Detailansicht öffnen
Wohnen in Stuttgart (Foto: SWR, Cordelia Marsch)
Eines der ältesten Häuser am Hallschlag. Bild in Detailansicht öffnen
Wohnen in Stuttgart (Foto: SWR, Cordelia Marsch)
Entgegengesetzte Welten: Abgerissene, neugebaute und renovierte Schmitthenner-Häuser. Bild in Detailansicht öffnen
Wohnen in Stuttgart (Foto: SWR, Cordelia Marsch)
Neubau und Altbau treffen aufeinander. Bild in Detailansicht öffnen
Wohnen in Stuttgart (Foto: SWR, Cordelia Marsch)
Die Stuttgarter Innenstadt macht's vor: Jeder Zentimeter wird genutzt bei diesen Luxuswohnungen. Bild in Detailansicht öffnen

Zwar schreibt die Stadt Stuttgart in ihrem Innenentwicklungsmodell seit 2014 vor, dass bei Neubauprojekten mindestens 20 Prozent Sozialwohnungen entstehen müssen. Doch in den anderen Neubauten steigen die Mieten erheblich an - und damit auch die ortsübliche Durchschnittsmiete.

Mannheimer wehren sich gegen Vertreibung

Auch in Mannheim kaufen Investoren ältere Häuser, sanieren die Objekte und erhöhen dann die Miete. Im Mannheimer Stadtteil Neckarstadt waren die Mieten lange günstig; gerade deshalb ist der Stadtteil bei Immobilienspekulanten sehr beliebt. Hier gibt es schöne Altbauten, die sich - modernisiert - teuer vermieten oder weiterverkaufen lassen. Immer mehr alteingesessene Läden und Mieter mussten gehen.

Als ihr Haus für zwei Millionen Euro verkauft werden sollte, fürchteten die Mieter in der Waldhofstraße 8, ebenfalls ihre Wohnung zu verlieren. Denn höhere Mieten könnten sie sich nicht leisten. Die Mieter wehrten sich: In einem riesigen Kraftakt kauften sie nach einem Jahr Verhandlung mit der Hauseigentümerin die Immobilie selbst.

Die ganze Geschichte finden Sie hier:

Hilft die Mietpreisbremse gegen Gentrifizierung?

Seit November 2015 gibt es in Baden-Württemberg eine Mietpreisbremse; sie gilt unter anderem in Stuttgart, Freiburg oder Konstanz. Mit ihr sollte der Anstieg der Mieten in Ballungsgebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt abgebremst werden. Die Mietpreisbremse legt fest, dass die Miete bei Neubezug einer Bestandswohnung nicht mehr als zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen darf. Diese Vergleichsmiete ergibt sich aus dem Mietspiegel.

Allerdings bezeichnen Kritiker die Mietpreisbremse als "zahnlosen Tiger", denn sie deckelt nicht die Miete bei Neubauten; das heißt, dass der Vermieter die Miete für eine neu errichtete Wohnung ohne Beschränkung festlegen kann. Und auch Modernisierungsmaßnahmen darf der Eigentümer auf die Mieter umlegen; hier greift die Mietpreisbremse ebenfalls nicht. Zudem hat sie keinen Einfluss darauf, ob und wie viele neue Wohnungen gebaut werden.

Hinzu kommt: Viele Mieter möchten selbst, wenn ihre Miete zu hoch ist, nicht dagegen vorgehen, weil sie froh sind, überhaupt eine Wohnung gefunden zu haben und nicht gleich Ärger mit ihrem neuen Vermieter riskieren möchten.

Eine Hand hält einen Wohnungschlüssel in die Höhe vor einer Hausfassade. (Foto: Getty Images, Thinkstock -)

Was kann ich als Mieter gegen eine zu hohe Miete tun?

Zuerst muss ich prüfen, ob die Miete tatsächlich zu hoch ist. Wenn es einen offiziellen Mietspiegel gibt, lässt sich das recht einfach überprüfen. Den Mietspiegel muss man bei der Kommune anfordern - oft gibt es ihn auch im Internet. Wenn man belegen kann, dass die Miete zu hoch ist, muss man den Vermieter anschreiben und verlangen, dass er die Miete nach unten korrigiert. Wenn der Vermieter sich weigert, hat man die Möglichkeit zu klagen.

Komplizierter ist es, wenn es keinen Mietspiegel gibt: Der Mieter kann den Vermieter dann auffordern zu beweisen, dass die Miete nicht überteuert ist. Das geht entweder über ein Gutachten eines Sachverständigen oder der Vermieter kann drei vergleichbare Wohnungen benennen, bei denen die Miete ähnlich hoch ist. In der Praxis landen solche Auseinandersetzungen meist vor Gericht. Dann entscheidet ein Richter, ob die Miete angemessen ist oder nicht.

"Die Prenzlschwäbin" thematisiert Gentrifizierung mit Augenzwinkern

Gentrifizierung in den Städten ist kein neues Problem. Und bei aller Ernsthaftigkeit gibt es auch humoristische Ansätze, sich dem Thema zu nähern. Die Esslinger Schauspielerin Bärbel Stolz alias "Die Prenzlschwäbin" hat beispielsweise einen eigenen Blick auf die Gentrifizierung Berlins.

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Dorothee Zeißig