120 ausrangierte Orgelpfeifen aus einer Marienkirche in Linz hat die österreichische Performance-Künstlerin und Filmemacherin VALIE EXPORT erstanden. Im Kunsthaus Bregenz hat sie einige davon zu einer erschreckend aktuellen Installation aufgebaut. Denn sie erinnern an Bomben.
Ein Mingus-Lied als musikalisches Bild
Aus zehn nebeneinander aufgestellten Lautsprechern schallt Charles Mingus‘ Flehen, von Atombomben verschont zu werden. Die Lautsprecher sind im Erdgeschoss des Bregenzer Kunsthauses platziert, dort hat VALIE EXPORT ihre Installation aufgebaut, denn die oberen drei Stockwerke sind derzeit Baustelle.
Das Kunsthaus wechselt nach 25 Jahren die komplette Beleuchtung auf LED. Ihre Arbeit für die Baustellen-Zeit entstand spontan über den Winter, erzählt die 82jährige zur Eröffnung in Bregenz, auch weil ihr dieses Mingus-Stück nicht aus dem Kopf geht:
„Das hat mich sehr beeindruckt, dieses Lied, das hat mich sehr beeindruckt, und ich dachte, dieses Lied möchte ich einmal noch in der Öffentlichkeit zeigen in dem Sinn, als musikalisches Bild zeigen, indem ich es aufführen lasse.“

Die Pfeifen sehen aus wie Raketenwerfer
Vorarlberger Musiker haben es für die Ausstellung neu aufgenommen und dazu auf alten Orgelpfeilen geblasen und getrommelt. Auch das dringt aus den Lautsprechern.
Es sind ausrangierte Orgelpfeifen aus der Marien-Wallfahrtskirche auf dem Pöstlingberg bei Linz. Mit ihnen lässt VALIE EXPORT ihr Bild zum musikalischen Bild von Mingus entstehen: 14 große Pfeifen, vom Zahn der Zeit verkratzt und fleckig, hängen mitten im Erdgeschoss von der Betondecke – wie herabregnende Raketen.
Weitere Orgelpfeifen sind in zwei Reihen übereinander so angeordnet – lange unten, kurze oben, dass sie wirken wie ein Raketenwerfer, eine Stalinorgel, ausgerichtet auf die Welt außerhalb des Kunsthauses.
Alte Orgelpfeifen der Linzer Marien-Kirche
Die 82jährige hat in Linz, wo sie aufgewachsen ist und wo ihr Vorlass bereits in einem Archiv gesammelt wird, unlängst die neue Orgel für die Marien-Kirche künstlerisch mitgestaltet. Die alten Orgelpfeifen erhielt sie für ihre Installationen.
VALIE EXPORT, die in den späten 1960er-Jahren ihren eigentlichen Namen Waltraud Stockinger ablegte und festschrieb, dass ihr Künstlername stets in Großbuchstaben erscheinen müsse, findet als Pionierin feministischer Medien- und Aktionskunst seit mehr als fünf Jahrzehnten international Beachtung.
Eine Pfeife wie ein tödliches Geschoss
Das Kunsthaus hätte ihr mehr als nur das Erdgeschoss zu Baustellen-Zeiten bieten können. Erschreckend dennoch die Orgelpfeifen-Bomben-Parallele. Besonders deutlich wird das durch eine einzelne, gut armlange Pfeife, die waagerecht an der Betonwand befestigt ist. Sie sieht aus wie ein tödliches Geschoss.

Und doch: An der Öffnung ist die Orgelpfeife umwickelt mit Notenpapier, handgeschrieben wahrscheinlich um 1900. Das ist erst für die Ausstellung in Bregenz entdeckt worden. Ein Wort aus dem Titel der Noten ist zu lesen: „Dona“, der Beginn von „Dona nobis pacem!“ – „Gib uns deinen Frieden!“
Zeitgenossen VALIE EXPORT: „Ich kann erst seit wenigen Jahren von meiner Kunst leben“
„Wir waren gefährliche Frauen“, sagt die Künstlerin VALIE EXPORT von sich und ihren Künstlerkolleginnen, die die Wiener Kunstszene der 1960er Jahre aufmischten. VALIE EXPORT führte ihren künstlerischen Partner Peter Weibel auf allen Vieren an einer Hundeleine durch die Stadt und lief mit einer im Schritt ausgeschnittenen Jeans durch Kino-Sitzreihen. Bis heute gilt sie als Ikone der feministischen Kunst.