Die Staatsgalerie Stuttgart zeigt „Alison Knowles – Sound and Space“, eine Hommage an die Fluxus-Pionierin aus New York. Die Ausstellung mit Vintage-Fotos vor allem aus den 1960er Jahren zeigt Dokumente von Alison Knowles´ Performances sowie Begleitmaterial zu Fluxus, einer Kunstrichtung zwischen Performance, Theater, Musik, Film, Text und Happening.
„Die Irren sind los“ – 1962 in Wiesbaden!
Wiesbaden im Herbst 1962. Auf den ersten Blick geht es betont bürgerlich zu: Männer tragen Anzug und Krawatte, Frauen Petticoats und Faltenrock, auch bei Vernissagen von Avantgarde-Kunst.
Selbst die Truppe von Künstlern aus New York, die am 11. September den Vortragssaal des Städtischen Museums Wiesbaden betritt, hält sich schön brav an den Dresscode der Adenauer-Ära. Ihr Programm aber sprengt die biederen Konventionen.
In die Plakate der Fluxus Festspiele haben „böse Bubenhände“ – wie es in einem Kommentar des WDR damals hieß – einen Kommentar geritzt: „Die Irren sind los“. Solche Empörung kommt den Performern gerade recht. Sie pfeifen auf traditionelle Kunstfertigkeit, spielen mit Schock und Schabernack.

Für Fluxus brach Alison Knowles eine vielversprechende Karriere als Malerin ab
Ein Konzertflügel wird zerstört, ein Kontrabass mit Staubwedel und Luftpumpe traktiert; dann dirigiert ein Performer mit großer Geste eine Kantate für vier Männer- und eine Frauen-Stimme. Titel des Werks: „Ein zweifelhaftes Lied in vier Richtungen für fünf Stimmen“
Eine der Stimmen gehört Alison Knowles, der einzigen Frau unter den Fluxus-Pionieren. Ihr widmet die Staatsgalerie Stuttgart nun eine Foto-Ausstellung mit Vintage-Prints aus den 1960er-Jahren, die Performances dokumentieren.
Youtube-Video: Alison Knowles 'Piece For Any Number Of Vocalists' (1962):
Als Knowles 1962 in Wiesbaden auftritt, ist sie knapp dreißig und hat gerade eine vielversprechende Karriere als Malerin abgebrochen. Eins ihrer frühen Gemälde hängt heute in der Staatsgalerie neben Werken von Rauschenberg, Lichtenstein und Christo.
„Sie hat komplett ihr Werk aus ihrem Atelier rausgenommen und verbrannt“, erklärt Kuratorin Elke Allgaier. Ein paar einzelne Arbeiten überlebten, eine dieser Arbeiten wurde von Hans Sohm, einem Sammler aus Markgröningen, gekauft und kam mit dessen Archiv in die Staatsgalerie.
Striptease mit farbigen Slips – die zwei letzten Unterhosen waren für den Kritiker
1962 performt Knowles die „Serenade für Alison“ von Nam June Paik. Mitten zwischen den - hauptsächlich männlichen – Zuschauern steht die Künstlerin auf einem Tisch, umhüllt von einem Kimono und behängt mit plärrenden Radios.
Dann vollführt sie eine Art Striptease, zieht lauter farbige Slips unter ihrer weiten Robe hervor und wirft sie in den Raum. „Die Handlungsanweisung besagt auch, dass sie den letzten und den vorletzten Schlüpfer einem Kritiker ins Maul stopfen soll“, erklärt Allgaier
„Make a Salad“ – gemeinsam essen statt allein Bilder anschauen
Knowles´ eigene Werke sind anders, zielen auf Wertschätzung und Austausch mit dem Publikum. Einer ihrer Klassiker ist „Make a Salad“. Knowles hat es erst vor wenigen Jahren wieder aufgeführt in der riesigen Halle der Tate Modern in London vor und mit einer begeisterten Menschenmenge.
Statt still und leise vor Bildern zu stehen, stünden die Besucher der Galerie zusammen, lernten sich kennen und tauschten sich aus, erklärt Allgaier: „Jeder hat auch das Gleiche zu essen in der Hand, und das war so ihre Idee.“
Alison Knowles „Make a Salad“ – Performance 2012 auf der High Line New York
Wer war vor 57 Jahren bei Knowles „Newspaper Music“ im Club Voltaire dabei?
Wie das Publikum vor 57 Jahren reagierte, als Alison Knowles im Stuttgarter „Club Voltaire“ ihr Stück „Newspaper Music“ aufführte, wie auf einer Fotoserie in der Staatsgalerie jetzt zu sehen ist, wüsste Allgaier auch gerne. Ihre Hoffnung: „Vielleicht gibt es ja noch Stuttgarter, die das erlebt haben. Das wäre natürlich superspannend, wenn wir Besucher bekommen, die uns auch berichten können, dass sie das miterlebt haben.“
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