Deutscher Dokumentarfilmpreis 2019

"Heimat ist ein Raum aus Zeit" gewinnt Hauptpreis

Stand

In Stuttgart wurde am 28. Juni 2019 im Rahmen des SWR Doku Festivals der Deutsche Dokumentarfilmpreis verliehen.

Der mit 20.000 Euro dotierte, vom Südwestrundfunk und der MFG Filmförderung Baden-Württemberg gestiftete Hauptpreis geht an den Ostberliner Dokumentarfilmer Thomas Heise (63) für seinen Film "Heimat ist ein Raum aus Zeit". Der mit 4.000 Euro dotierte Preis der „STZ Leserjury" wurde an Beryl Magoko für "In Search …" verliehen. Der mit 3000 Euro dotierte Förderpreis vom Haus des Dokumentarfilms (HDF) ging an "Dark Eden" von Jasmine Herold und Michael David Beamish. Anja Kofmel bekam für "Chris the Swiss" den mit 5.000 Euro dotierten Preis der Norbert Daldrop Förderung für Kunst und Kultur. Mit 5.000 Euro sowie dem Musikpreis der Opus GmbH für einen dokumentarischen Film aus dem Bereich Musik wurde Sophie Huber für ihren Film "Blue Note Records: Beyond the Notes" ausgezeichnet.

Thomas Heise (Foto: SWR)
Thomas Heise bei der Preisverleihung

SWR Intendant betonte herausragende Qualität des deutschen Dokumentarfilms

SWR Intendant Peter Boudgoust sagte bei der Preisverleihung in Stuttgart: "Das SWR Doku Festival ist der Höhepunkt des Jahres für den deutschsprachigen Dokumentarfilm. Besonders freue ich mich, dass mehr als die Hälfte der nominierten Filme für den Dokumentarfilmpreis von Nachwuchsregisseurinnen und -regisseuren stammen. In einer Zeit, in der unzählige Informationen jederzeit und überall verfügbar sind und die Menschen viele Themen nur noch streifen können, nähert sich der Dokumentarfilm den großen Themen unserer Gesellschaft mit Tiefe. So auch der Film ‚Heimat ist ein Raum aus Zeit‘. Herzlichen Glückwunsch den Gewinnern und Gewinnerinnen. Für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist der Dokumentarfilm so unverzichtbar, weil er den Zuschauerinnen und Zuschauern die Möglichkeit gibt, sich ein eigenes Bild zu machen."

Hauptpreis für "Heimat ist ein Raum aus Zeit"

Mit dem gemeinsamen Preis von SWR und der MFG Filmförderung Baden-Württemberg und einem Preisgeld in Höhe von 20.000 Euro wurde der Dokumentarfilm "Heimat ist ein Raum aus Zeit" ausgezeichnet. Der Film folgt den biografischen Spuren einer zerrissenen Familie über das ausgehende 19. und das folgende 20. Jahrhundert hinweg. Es geht um Menschen, die einst zufällig zueinander fanden, dann einander verloren. Um Sprechen und Schweigen, erste Liebe und verschwundenes Glück. Väter, Mütter, Söhne, Brüder, Affären, Verletzung und Glück in wechselnden Landschaften, die verschiedene einander durchwuchernde Spuren von Zeiten in sich tragen. Der Film ist eine Collage aus Bildern, Tönen, Briefen, Tagebüchern, Notizen, Geräuschen, Stimmen und Fragmenten. In der Jurybegründung heißt es: "In Zeiten um sich greifender Formatierung, was nichts bedeutet als garantierte Konsumierbarkeit bei geringstem Aufwand und entschiedener Reduzierung aller geistigen Ansprüche, setzt dieser Film ein Zeichen des Widerstands: Er orientiert sich nicht an den Erwartungen und Bedürfnissen tagesmüder, phlegmatischer Zuschauer, die in möglichst großer Zahl zu erreichen, ‚abzuholen‘ seien, sondern wendet den Blick nach innen, auf sein Thema, dem er sich ohne Vorbehalte nähert. Dass man ihm gebannt folgt, darin liegt seine Magie."

"In Search …" von der "STZ Leserjury" ausgezeichnet

Der mit 4.000 Euro dotierte Preis der "STZ Leserjury" geht an "In Search …" von Beryl Magoko. Beryl dachte als junges Mädchen, als sie in einem ländlichen Dorf in Kenia aufwuchs, dass alle Frauen in der Welt "beschnitten" werden, indem sie die "Female Genital Mutilation (FGM)" über sich ergehen lassen müssen. In ihrem autobiografischen Film erforscht sie das emotionale Dilemma, indem sie mit anderen Frauen spricht, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Beryl Magoko versucht, herauszufinden, ob sie sich dieser Operation unterziehen soll – eine zweite Reise ins Unbekannte. Die Jury begründet ihre Entscheidung so: "Beryl Magoko macht öffentlich, worüber viele Leidensgenossinnen schweigen, aus Angst und aus Scham, und bringt andere dazu, ihr Schweigen vor der Kamera zu brechen. Sie sucht keine Schuldigen, sondern übernimmt die Verantwortung für ihr von einem brutalen äußeren Eingriff geprägtes Leben. Sie nimmt uns mit in eine andere Kultur und überbrückt dabei eine große Distanz. Sie bringt Welten in Berührung und befördert die Kommunikation auf Augenhöhe."

"Dark Eden" gewinnt den Förderpreis des Hauses des Dokumentarfilms

Der mit 3.000 Euro dotierte Förderpreis des HDF geht an "Dark Eden" von Jasmine Herold und Michael David Beamish. Wie hoch ist der Preis für ein besseres Leben? Auf ihrer Reise nach einer Antwort auf diese Frage verschlägt es die Regisseurin an den Ort Fort McMurray, der im hohen Norden Kanadas liegt. Hier befindet sich das größte Industrieprojekt und eines der letzten Ölvorkommen der Welt. Menschen aus der ganzen Welt kommen hierher, um auf Kosten der Umwelt astronomisch hohe Geldsummen zu verdienen. Doch Film und Realität vermischen sich plötzlich und die Regisseurin muss sich ihrem eigenen persönlichen Alptraum stellen. Die Jurybegründung: „Empathisch nähert sich Herold ihren Protagonisten und lässt Profiteure, Anwohner und Arbeiter zu Wort kommen, ohne zu werten. Dramaturgisch geschickt wird eine einzigartige, berührende Geschichte erzählt, in der das persönliche Schicksal des Regie-Paares mit dem globalen Problem gekonnt verwoben wird. Das rüttelt uns auf und lässt ein unfassbares Dilemma sichtbar werden, das uns alle angeht."

Norbert Daldrop Stiftung kürt "Chris the Swiss"

5.000 Euro Preisgeld gehen an Anja Kofmel für ihren Film "Chris the Swiss". Kroatien, Januar 1992. Mitten in den Jugoslawienkriegen wird Chris, ein junger Schweizer Journalist unter mysteriösen Umständen tot aufgefunden. Zum Zeitpunkt des Todes trug er die Uniform einer internationalen Söldnergruppe. Anja Kofmel war seine Cousine. Zwanzig Jahre später beschließt sie, seiner Geschichte nachzugehen und versucht zu verstehen, was Chris’ tatsächliche Beteiligung an diesem Konflikt war. Die Jury meint: "Die Regisseurin Anja Kofmel drückt alles, was sie nicht weiß und nicht wissen kann, mit den Mitteln aus, die sie neben der dokumentarischen Aufbereitung exzellent beherrscht: Zeichnung und Animation. So wird der Film genau an den Stellen, an denen sie sich in ihren Cousin Chris versetzt und über seine Bewegründe mutmaßt, ihn sich gewissermaßen ausmalt, sehr berührend. Dabei gelingt ihr mit dem privaten, familiären Porträt des jungen Mannes Chris ganz nebenbei auch noch der große Bogen zu dem Thema Krieg und der Faszination, die Krieg auf ‚Wohlstandskinder‘ ausüben kann. Dieses gelungene Werk ‚Chris the Swiss‘ hat abseits von den Pfaden der üblichen dokumentarischen Erzählung seine eigene Sprache gefunden und erfunden."

"Blue Note Records: Beyond the Notes" gewinnt den Musikpreis der Opus GmbH

5.000 Euro Preisgeld gehen mit dem in diesem Jahr zum zweiten Mal verliehenen Musikpreis der Opus GmbH an Sophie Huber für "Blue Note Records: Beyond the Notes". Als die deutsch-jüdischen Flüchtlinge Alfred Lion und Francis Wolff 1939 in New York Blue Note gründeten, ließen sie den Künstlern völlige Freiheit und ermutigten sie, neue Musik zu komponieren. Durch ihre visionäre und kompromisslose Herangehensweise konnten Platten entstehen, die nicht nur den Jazz revolutionierten, sondern auch Kunst und Musik, darunter den Hiphop, nachhaltig prägten. Der Film vermittelt all jene Werte, die der Jazz seit jeher verkörpert und Blue Note gefördert hat: Meinungsfreiheit, Gleichheit, Dialog. Auszug aus der Begründung: „Die Jury ist der Meinung, dass dieser Film die Geschichte von Blue Note kongenial erzählt und daher ein überzeugendes Beispiel dafür ist, was ein Dokumentarfilm im besten Fall zu leisten vermag. It swings!"

Gewinner 2019 (Foto: SWR)
Die Gewinner und die Jury auf der Bühne

Preisverleihung im Rahmen des SWR Doku Festivals

Der Deutsche Dokumentarfilmpreis wird seit 2017 jährlich (zuvor zweijährig) vom Südwestrundfunk (SWR) und der MFG Filmförderung Baden-Württemberg gestiftet. Die Preisverleihung fand heute zum dritten Mal im Rahmen des SWR Doku Festivals statt. Das aktuelle Reglement sowie weitere Informationen und Hintergründe zum Deutschen Dokumentarfilmpreis finden sich unter www.deutscher-dokumentarfilmpreis.de

Fülle von Einsendungen

Festivalleiter Goggo Gensch zu den Nominierungen: „Es hat mich unheimlich gefreut, dass in diesem Jahr mit 138 Einsendungen noch einmal mehr Filme eingereicht wurden als im letzten Jahr. Das ist eine große Wertschätzung für das Festival und die Preise. Ebenso schön fand ich es, dass sehr viele Nachwuchsfilme zur Auswahl standen und die Hälfte der Einsendungen von Filmemacherinnen stammten. Die nominierten Filme spiegeln dies und versprechen einen spannenden Wettbewerb. Ihre Themen zeigen einmal mehr, dass der Dokumentarfilm wie kaum eine andere Kunstform geeignet ist, den Blick auf die aktuelle Entwicklung unserer Welt zu schärfen.“

Die Jury

Irene von Alberti (Filmemacherin, Produzentin und Verleiherin "Filmgalerie 451"), Ansgar Frerich (Produzent "Of Fathers and Sons"), Sigrid Klausmann-Sittler (Regisseurin "199 Kleine Helden"), Petra Reski (Schriftstellerin und Journalistin), Andreas Christoph Schmidt (Filmemacher "Krieg und Frieden – Deutsch Sowjetische Skizzen"), Andres Veiel (Filmemacher "Beuys"), Rosa Hannah Ziegler (Filmemacherin "Familienleben"). Die Fachjury für den Preis der Opus GmbH: Georg Dietl (Musiker), Michael Maschke (Produzent und Regisseur "Brian Auger – Life on Tour"), Stephan Plank (Filmemacher "Conny Plank – The Potential of Noise").

Zur Geschichte des Preises

Seit 2003 wurde alle zwei Jahre der „Baden-Württembergische Dokumentarfilmpreis“ für herausragende Produktionen aus dem deutschsprachigen Raum vergeben. Träger des Preises sind die MFG Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg, das Haus des Dokumentarfilms Stuttgart und der SWR. Bei der Preisverleihung 2007 im Rahmen der Veranstaltung „Dokville“ in Ludwigsburg hatte sich gezeigt, dass der Preis nicht nur auf regionale, sondern auf internationale Resonanz stößt, sowohl bei den eingereichten Filmen als auch bei der Bedeutung als Branchentreff. Diese Wichtigkeit, aber auch die Ausrichtung auf den deutschsprachigen Raum hatte die Preisstifter bewogen, den Preis seit 2009 "Deutscher Dokumentarfilmpreis" zu nennen.

Bei weiteren Fragen wenden Sie sich bitte an die Geschäftsstelle des "Deutschen Dokumentarfilmpreises"

Die Nominierungen 2018

Nominierungen Hauptpreis: Deutscher Dokumentarfilmpreis, Preis der Norbert Daldrop Förderung, Preis der Lesejury der Stuttgarter Zeitung, Förderpreis

Born in Evin
98 Min.; Buch und Regie Maryam Zaree
Produktion Tondowski Films, Alex Tondowski / Co-Produzenten: Golden Girls Film TV, Deutschland. Österreich 2019.

Chriss the Swiss
90 Min.; Buch und Regie Anja Kofmel
Produktion Ma.ja.de. Filmproduktions GmbH, Heino Deckert / Co-Produzenten: Samir / DSCHOINT VENTURE FILMPRODUKTION AG, film d.o.o., Iikka Vehkalahti, IV Films Ltd ;TV. Deutschland, Schweiz, 2018.

Congo Calling
90 Min.; Buch und Regie Stephan Hilpert
Produktion Stephan Hilpert. Deutschland 2019.

Dark Eden
80 Min.; Buch und Regie Jasmine Herold, Michael David Beamish
Produktion Made in Germany Filmproduktion, Melanie Andernach. Deutschland 2018.

Die Geheimnisse des schönen Leo
80 Min.; Buch und Regie Benedikt Schwarzer
Produktion Carl-Ludwig Rettinger / Lichtblick. Deutschland 2018.

Genesis 2.0
113 Min.; Buch und Regie Christian Frei
Produktion Christian Frei Filmproduktionen GmbH; TV. Schweiz 2018.

Heimat ist ein Raum aus Zeit
218 Min.; Buch und Regie Thomas Heise
Produktion Ma.ja.de. Filmproduktions GmbH, H. Deckert. Deutschland 2019.

In Search ...
90 Min.; Buch und Regie Beryl Magoko
Produktion Kunsthochschule für Medien Köln. Deutschland 2018.

Island of the Hungry Ghosts
88 Min.; Buch und Regie Gabrielle Brady
Produktion Alexander Wadouh, Chromosom Film. Deutschland, Australien 2018.

Searching Eva
84 Min.; Buch und Regie Pia Hellenthal.
Produktion Corso Film und Fernsehproduktion, Erik Winker. Deutschland 2019.

Sunset over Hollywood
93 Min.; Buch und Regie Uli Gaulke; Coautor Marc Pitzke
Produktion Achtung Panda! Media GmbH, Helge Albers / Co-Produzent: Storming Donkey Productions GmbH & Co KG. Deutschland 2019.

Was kostet die Welt
92 Min.; Buch und Regie Bettina Borgfeld
Produktion Filmtank GmbH, Thomas Tielsch / Co-Produzent: Berlin Producers Media GmbH. Deutschland 2018;

Nominierte Produktionen Preis der Opus GmbH für einen Dokumentarfilm aus dem Bereich Musik

Blue Note Records: Beyond the Notes
85 Min.; Buch und Regie Sophie Huber
Produktion Mira Film, Susanne Guggenberger. Schweiz 2018.

Fuck Fame
90 Min.; Buch und Regie Lilian Franck, Robert Cibis
Produktion OVALmedia Cologne GmbH, Robert Cibis. Deutschland 2019.

Weil du nur einmal lebst – die Toten Hosen auf Tour Deutschland 2019
107 Min.; Buch und Regie Cordula Kablitz-Post; Produktion avanti media fiction GmbH, Cordula Kablitz-Post. Deutschland 2019.

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