"Ich habe die Hoffnung, bald nach Hause zurückkehren zu können", sagt die 19-jährige Sprinterin gegenüber SWR Sport. Ihr Trikot in den ukrainischen Nationalfarben lässt keine Zweifel aufkommen: "Stop the War" steht in großen Buchstaben auf dem Rücken und auf der Vorderseite des Oberteils von Lidiia Malicka. "Stoppt den Krieg". Sie ist nachdenklich, und doch deutlich in ihrer Botschaft: "Ich möchte damit die Hoffnung ausdrücken, dass der Krieg beendet wird, dass endlich wieder Frieden einkehrt."
Flucht ins Ungewisse
Der russische Einmarsch in ihr Heimatland hat das Leben der ukrainischen Junioren-Meisterin im Bahnradfahren völlig verändert. Ihr blieb nur die Flucht. "Die Fahrt dauerte drei Tage", erzählt sie in leisen Worten. "Wir wussten gar nicht, wo wir ankommen". Angst und Ungewissheit fuhren mit, als sie mit ihrer Mutter und ihrer Schwester den Wohnort Charkiw hinter sich ließ. Über Polen ging es nach Deutschland. Sie landeten schließlich bei einer Gastfamilie im hessischen Odenwald – am Ende ein Glücksfall. "Denn dort kannte sich jemand im Radsport aus und stellte den Kontakt zu Frank Ziegler her", erinnert sich Lidiia Malicka und lächelt.
"Dieser bescheuerte Krieg"
Frank Ziegler steht ein paar Meter entfernt, hat gerade sein Bahnradteam Rheinland-Pfalz für die neue Saison vorgestellt. Dass er die ukrainische Junioren-Meisterin als Gastfahrerin aufnehmen wird, stand außer Frage. "Sie kann bei uns trainieren, wir nehmen sie zum Wettkampf mit. Sie soll die Zeit genießen, sie soll die Zeit nutzen", sagt der Erfolgstrainer aus Otterbach. Dank seiner Arbeit am Heinrich-Heine-Elitegymnasium in Kaiserslautern bekommt Lidiia Malicka auch gleich die Möglichkeit, zur Schule zu gehen und intensiv deutsch zu lernen. Zieglers Botschaft ist unmissverständlich: "Wir wollen nicht nur Leistung in den Vordergrund stellen, sondern uns solidarisch zeigen. Gerade in diesen schwierigen Zeiten, mit diesem irrsinnigen bescheuerten Krieg. Wir wollen ein Zeichen setzen, dass wir bereit sind, die Menschen, die nichts dafür können, zu unterstützen und ihnen eine Heimstätte zu geben, dass sie auf andere Gedanken kommen und nicht jeden Tag an den Krieg denken müssen."
Pfingstrennen in Dudenhofen
Die Solidarität der Radsport-Szene geht weiter. In diesen Tagen reist die ukrainische Nationalmannschaft in die Pfalz. Ihr Ziel: das Internationale Pfingstmontags-Rennen beim RV Dudenhofen. "Die ukrainische Mannschaft ist mit 18 Sportlerinnen und Sportlern gemeldet", sagt Clemens Spiekermann, der Vorsitzende des Traditionsvereins. Die Radsport-Fans werden am 6. Juni wieder zu den spannenden Rennen in der "Badewanne" pilgern, wie die Betonbahn in Dudenhofen liebevoll genannt wird. Doch die Hilfsbereitschaft geht weit über den Wettkampf hinaus.
Mit Sport Trauma überwinden
"Neben der hohen Bedeutung des Sports für das soziale Zusammenleben bin ich von der noch größeren Bedeutung für die Völkerverständigung überzeugt", betont Spiekermann. Seit über 40 Jahren schon engagiert er sich ehrenamtlich im Sport, zuletzt ganz bewusst auch mit einem Hilfstransport für ukrainische Flüchtlinge nach Polen. "Von dort haben wir zwei Frauen mit ihren vier Kindern nach Deutschland mitbringen können. Und beim Überwinden der traumatisierenden Kriegserlebnisse", sagt Spiekermann mit Nachdruck, "da hilft den Kindern auch die sofortige Einbindung in Sportgemeinschaften."
Heimweh belastet
Lidiia Malicka ist froh, in der pfälzischen Rad-Familie angekommen zu sein. Trotzdem gibt sie offen zu: "Ich habe Heimweh". Beim Pfingstmontags-Rennen in Dudenhofen wird sie wieder versuchen, sich auf ihre sportlichen Talente zu konzentrieren. Doch jede Runde wird begleitet vom Wunsch nach Frieden und der Rückkehr in die Heimat. "Stop the war". Unter dem Appell auf Lidiia Malickas Trikot prangt nicht umsonst ein großes Herz.